Umfrage: Prostitution – Eine Momentaufnahme

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Voice4Sexworkers hat SexarbeiterInnen in Deutschland befragt

Aus Anlass des jährlich am 17. Dezember stattfindenden Internationalen Tags gegen Gewalt an SexarbeiterInnen, hat Voice4Sexworkers eine Umfrage unter SexarbeiterInnen in Deutschland durchgeführt.

In Deutschland sitzt die Regierungskoalition bereits seit fast zwei Jahren an der Ausarbeitung eines Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG), mit dem SexarbeiterInnen vor Gewalt, Zwang und Ausbeutung geschützt werden sollen. Bundesfamilienministerin Frau Manuela Schwesig hat nun einen Referentenentwurf zum Gesetz vorgelegt, das die Prostitution in Deutschland kontrollieren und regeln soll, obwohl eigentlich das von einer EU-Richtlinie vorgegebene Ziel war, den Menschenhandel zu bekämpfen.

Wir von Voice4Sexworkers haben uns nun gefragt, wie die aktuelle Situation für SexarbeiterInnen in Deutschland wirklich ausschaut, denn es kursieren ja einige Schätzungen und angebliche Fakten, für die weder seriöse Quellen vorhanden sind, noch nachvollziehbare Beweise existieren. Oft liest man zwei entgegengesetzte Meinungen und dabei wird es dann belassen. Ein wirkliches Stimmungsbild lässt sich daraus aber kaum ableiten. Ob man ein Gesetz in der Form braucht, darüber streiten sich seit Monaten die „Experten“. Was jedoch diejenigen denken, die direkt von dem Gesetz betroffen sein werden, oder was sie benötigen, das fragt und weiß so gut wie niemand.

Für Außenstehende ist es auch recht schwierig den Kontakt und letztendlich das Vertrauen zu SexarbeiterInnen herzustellen, erst recht, wenn es darum geht, nicht nur ein oder zwei, sondern eine Vielzahl von ihnen zu befragen.

Deswegen haben wir vor einigen Tagen eine Umfrage unter SexarbeiterInnen gestartet, die bis gestern, dem 16.12.2015, anonym beantwortet werden konnte. Hierbei haben wir natürlich – im Gegensatz zu Politikern, Wissenschaft und Medien – von einem guten und großen Netzwerk profitiert, zu dem nachweislich ausschließlich SexarbeiterInnen selbst Zugang haben. Unter anderem haben wir viele TeilnehmerInnen für unsere Umfrage auf einem Internetportal gefunden, wo SexarbeiterInnen ihre Dienstleistungen bewerben können. Vielen Dank nochmals an dieser Stelle an alle, die sich die Zeit für unsere Umfrage genommen haben.

Die Teilnahme an der Umfrage war absolut anonym und folgte dem Zufallsprinzip. Es konnte frei und offen geantwortet werden. Da die Umfrage nicht öffentlich stattfand bzw. beworben wurde, ist einerseits zwar die Anzahl der Befragten geringer, dafür aber ist gewährleistet, dass die Teilnehmenden absolut authentisch sind, da wir so eine etwaige Manipulation oder Verfälschung der Daten durch Nicht-SexarbeiterInnen ausschließen konnten. Da die Befragten auch uns gegenüber anonym bleiben konnten, erleben wir hier quasi einen ungefilterten Einblick in die Welt und Lebenswirklichkeiten von SexarbeiterInnen.

Personen, die an der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit dieser Umfrage Zweifel haben, mögen uns bitte vergleichbare umfassende Umfragen mit Quellenangabe zukommen lassen.

Im Gegensatz zu vorhandenen und viel zitierten Studien, in denen nur bestimmte Gruppen befragt wurden, wie z.b. DrogenkonsumentInnen in der Beschaffungsprostitution („Drogenstrich“) oder Opfer von Menschenhandel, haben wir Menschen quer durch die existierenden Arbeitsbereiche innerhalb der sexuellen Dienstleistungen befragt, egal ob sie auf der Straße, im Bordell oder als Escort arbeiten. In unsere Umfrage flossen alle Meinungen bzw. Erfahrungen dieser Menschen mit ein. Hier wurde bewusst keine Gruppe ausgenommen oder etwa bevorzugt, denn alles andere würde eben nur die Situation in bestimmten Gruppen zeigen und nicht wie sich die einzelnen Faktoren und Umstände innerhalb aller Sexdienstleister verteilen.

Gerade bei den Antworten auf die Frage nach der ausgeübten Form der sexuellen Dienstleistung stellt sich ein Querschnitt durch sämtliche Bereiche dar, so wie er auch tatsächlich eins zu eins auf die Gesamtsituation Deutschlands (prozentualer Anteil der Form der sexuellen Dienstleistung verteilt auf die Summe der Sexarbeiter) übertragen werden kann. Denn in unserer alltäglichen Praxis erleben wir fast genau diese Verteilung. Doch selbst wir waren ein wenig überrascht waren, wie vielseitig eine hohe Anzahl der SexarbeiterInnen arbeiten bzw. wie breitgefächert sie ihr Angebot definieren.

Dass SexarbeiterInnen oft nicht nur auf einen Bereich festgelegt sind, überrascht uns allerdings nicht. Viele wechseln zwischen den einzelnen Dienstleistungsformen hin und her und bieten jeweils den Bereich an, der entweder aktuell am profitabelsten, vom Gast gewünscht oder bedingt durch private oder sonstige Einflüsse am ehesten umsetzbar ist.

Bei manchen ist es auch eine Entwicklung: einige fangen zum Beispiel an, ein Zimmer in einem Bordell zu mieten und bieten im späteren Verlauf ihres Lebens nur Escort oder Hausbesuche an. Andere wechseln von der Wohnungsprostitution in den Bereich Domina, weil sie im Laufe der Zeit eine Neigung und Geschick dafür entwickelt haben.

Damit setzt unsere Umfrage auch in diesem Punkt den gängigen geschätzten Zahlen Fakten entgegen, denn es gibt nicht die EINE Sexarbeiterin, sondern wie in anderen Berufen auch, durchläuft man in der Sexarbeit eine ständige Entwicklung und Weiterbildung. Oder, wie sich hier auch zeigt, merken einige, dass ihnen der Beruf nicht liegt oder nicht gefällt, sodass sie sich baldmöglichst wieder beruflich umorientieren möchten.
Ein Großteil ist jedoch über einen langen Zeitraum in der Sexarbeit tätig und sammelt in der Zeit bereichsübergreifende Erfahrungen, nicht zuletzt auch durch den Kontakt mit Kolleginnen.

Die sonstigen Antworten der 69 Befragten auf die einzelnen Fragen waren zumindest für uns auch nicht sonderlich überraschend, sondern bestätigten lediglich das, was andere SexarbeiterInnen und wir schon die ganze Zeit sagen.

Im Hinblick auf das geplante Prostituiertenschutzgesetz sind vor allem folgende Punkte erwähnenswert:

  • Zu wenige SexarbeiterInnen sind ausreichend über das ProstSchG informiert. Selbst das bestehende Prostitutionsgesetz kennen viele nicht ausreichend genug.
  • Die Anmeldepflicht wird von nur 4,3% für gut befunden, wohingegen sich 78,3% dagegen ausgesprochen haben.
  • Über die Hälfte aller Befragten (53,6%) gab an, Angst davor zu haben, sich durch eine Anmeldepflicht outen zu müssen …
  • … weswegen wohl 44,9% den Entschluss gefasst haben, sich selbst unter der Androhung von Bußgeldern und behördlicher Verfolgung nicht anzumelden und illegal weiterzuarbeiten
  • Die Hälfte sorgt sich auf Grund des Gesetzes um ihre Zukunft und befürchten den Verlust ihrer Arbeit
  • Trotz teils negativer Erfahrung mit Betreibern (65,4%) spricht sich ein Großteil gegen die Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe (36,2%) und für Wohnungen ab 2 Kolleginnen (68,1%) aus.
  • Der vorherrschende Glaube, dass von Freiern überwiegend Gewalt und Missbrauch ausgeht, wird nicht bestätigt. Es stellt sich umso mehr die Frage, ob SexarbeiterInnen wirklich ein Gesetz zu ihrem Schutz brauchen, …
  • … wie sich nicht zuletzt auch den Antworten auf die Frage nach den Wünschen entnehmen lässt. Die Kluft zwischen den tatsächlichen Bedürfnissen und den vorgesehenen gesetzlichen Regelungen könnte kaum größer sein.

Aber sehen Sie sich selbst das komplette Umfrageergebnis an. Die weiteren Zahlen und Antworten sprechen für sich:

Obendrein hatte man bei der Befragung noch die Möglichkeit, eine zusätzliche Nachricht zu hinterlassen. Das haben einige genutzt und folgende Nachrichten und Meinungen geschrieben:

Die Arbeits als solche am Gast ist nicht das Problem, das Problem sind die Bedingungen. Stigmatisierung, Folgen des Outings, Ausgeliefertsein gegenüber Vermieterin und Angst auch bei schlechten Erfahrungen die Polizei zu rufen! Die speichern nachher den Klarnamen und Zack ist das Stigma im Datensatz eingraviert.

Es wäre schön, wenn jemand (Amt) einfach zuerst fragen würde, ob man selbstbestimmt arbeiten will und kann. Das Durcheinander Gewerbeanmeldung/nur Steuernummer sollte aufhören. Einheitliche Regelung in allen Bundesländern.

MEIN Problem sind nicht meine Gäste, sondern die braven Bürger – die mich geoutet haben, die mich gesellschaftlich ausgegrenzt haben und die mich stigmatisiert haben. Mit meinen GÄSTEN habe ich keine Probleme!

Wenn dieses Gesetz so kommt, wie es geplant ist, wird wieder eine Paralellgesellschaft entstehen. Frauen die das Geld brauchen werden weiterarbeiten, und sich den Schutz, den ihnen die Gesellschaft durch Zwangsanmeldung und damit verbunden Zwangsouting kaufen müssen bei starken Männern… ohne die Möglichkeit zu haben dann bei Ausbeutung, Gewalt, Zwang usw zur Polizei zu gehen, da sie sich dann selbst der illegalen Prostitution anzeigen müssten.Rechte schützen und stärken uns, wenn sie verwehrt werden, dann macht man uns zu Opfern, vor allem auch zu Opfern der Rettungsindusterie, die auf unserem Rücken Spenden sammelt um ihre eigene Daseinsberechigung zu manifestieren und zu finanzieren, Diese sogenammte Hilfe ist darauf ausgerichtet uns jegliche Selbstverantwortunf und Selbstbestimmung abzusprechen, damit wir niemals diesen aufgedrückten Opferstatus los werden und so immer unter deren Kontrolle stehen.

Schade, dass die Umfrage nur in Deutsch ist. Damit wird sie kaum wissenschaftliche Glaubwürdigkeit bekommen…

Ich wünsche mir viel mehr Beratung, v.a. Einstiegsberatung für neue Kolleginnen,vorrangig ausländische. Auch mehr Aufklärung der Öffentlichkeit, damit unser Beruf aus der „Schmuddelecke“ herauskommt und mehr anerkannt wird.

Ich habe keine Angst vor einem Verbot, da so etwas meiner Ansicht nach gar nicht mit dem Grundgesetz der BRD vereinbar wäre. Aber selbst etwas wie „illegales“ Arbeiten kann für mich als Escort kaum zutreffen, solange es nicht verboten ist, privat One-Night-Stands zu haben. Ob dabei nur Geld den Besitzer wechselt oder nicht, interessiert nur das Finanzamt – und wäre dies dann illegal, könnte der Staat kaum Steuern darauf erheben. Auch eine private Homepage oder einen Blog mit Kontaktformular zu haben, wo ich Dates anbiete, kann man mir kaum verbieten – ich muss ja keine Preisliste veröffentlichen. Aber all dies ist natürlich ein ungutes, belastendes Versteckspiel.
Was mir Sorgen macht, ist nicht juristische, sondern soziale Verfolgung und Diskriminierung.
Ich hege nicht die Erwartung, dass ein Staat oder ein Arbeitgeber mich schützt.
Sexuelle Gewalt oder Vergewaltigung würde ich ohnehin nie zur Anzeige bringen, auch wenn ich sie außerhalb der Sexarbeit erleide. Selbst erfahrene Juristen raten schließlich ihren Töchtern davon ab: der Aufwand, die Peinlichkeit der Offenbarung im Detail ist zu groß, Verteilung und Strafmaß für den Täter zu ungewiss und ohnehin zu niedrig. Es lohnt sich nicht. Zudem setzen sich die Opfer zusätzlicher Gefahren aus, z.B. Zwangsouting, öffentliche Bloßstellung,Erpressung durch Beamte, Gewalt durch Polizisten.
Der einzige Schutz für mich ist eine aufgeklärte, emanzipatorische Gesellschaft.

Es wäre super, wenn es diese Umfrage auch in Übersetzung auf andere Sprachen gäbe! In Deutschland arbeiten so viele Migrantinnen in der Sexarbeit, deren Erfahrungen wären auch sehr wichtig!

Da ich im Tantrabereich arbeite, fällt es mir immer wieder schwer, das überhaupt als Sexarbeit zu betrachten. Die Arbeitsbedingungen beim echten Tantra sind sehr unterschiedlich zu dem, was ich von SexarbeiterInnen mitbekomme.
Ich sehe mich da zwischen allen Stühlen sitzend. Sehr unbehaglich.
Wenn bloß dieser Gegenwind aus Politik und Gesellschaft nicht wäre –
denn der Beruf also solcher ist sehr befriedigend, sinnvoll und erfüllend.

Ich arbeite gerne in diesem Beruf. Er ist anspruchsvoll und wichtig.

Danke für eure Arbeit! Schön dass es euch gibt 🙂

Ich hätte gern mehr Schütz für mein Beruf..!!
Und mehr einverstand für schlafen können in die Wohnung wo ich arbeite..!!
Wie kann ich dazu zahlen einen Hotel Zimmer und mit einen Hure Pass wie kann ich akzeptieren seín in Hotel???? Wer hilft mir ??

Ich habe inzwischen den Glauben daran verloren, dass diese Regierung uns mit dem neuen Gesetz irgendwie helfen will. Im Gegenteil, man will uns gesetzlich wieder stärker diskriminieren. Diese Politiker wollen die Stimmen, derer, für die Frauen, die ihre Sexualität selbstbestimmt und frei leben, und die sich nicht für einen Hungerlohn ausbeuten lassen, zu verteufeln sind. Diese Politiker selbst wollen als wieder als verteufelte Huren sehen. Wir sollen die patriarchale, klassistische Gesellschaft nicht bedrohen. Deshalb setzt man sich nicht mit uns an einen Tisch und entscheidet über unsere Köpfe hinweg.

Link zum gesamten Umfrage-Ergebnis zum Download(Excel-Tabelle)
(Bemerkung: Die Antworten wurden alle in keinsterweise verändert. Nur in einem Fall mussten wir den Namen einer erwähnten Person aus rechtlichen Gründen durch XXX ersetzen.)

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Showing 2 comments
  • JD
    Antworten

    Hi, danke für die gute Umfrage … das ist echt mal ein guter Ansatz. Eine Anzahl von 69 schwächt die Umfrage jedoch; frau kann hier nur sagen (was ihr ja auch macht): zeigt mir was besseres ! Was mich aber massiv wundert ist, dass ihr nicht mehrsprachig gearbeitet habt. Somit fallen doch grad die Frauen weg, die besonders interessant wären UND die ja auch als Vorwand für das Gesetz gelten. Da solltet ihr echt nochmal nachlegen.

    • Redaktion
      Antworten

      Richtig, nur kosten Übersetzer und Technik für sowas leider Geld, das wir schlichtweg nicht haben. Deswegen gab es leider nur diese abgespeckte Version, an der sich aber auch Migranten beteiligt hatten. Wir haben über ein Crowdfunding nachgedacht um so etwas finanzieren und durchführen zu können. Aber da müssen wir uns erst mal richtig über die rechtlichen Bedingungen informieren.

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