Prostitution: Das „nordische Modell“ ist ein Mythos
Übersetzung des Artikels:
http://blogs.lse.ac.uk/europpblog/2014/01/03/the-nordic-model-of-prostitution-law-is-a-myth/
Prostitution: Das „nordische Modell“ ist ein Mythos
Das „nordische Modell“ der Prostitutionspolitik wurde oft als ein Erfolg gefeiert, hinsichtlich der Reduzierung der Zahl der Frauen in der sichtbaren Prostitution sowie um eine feministischen Denkweise voranzutreiben. Mai-Len Skilbrei und Charlotta Holmström verglichen sorgfältig die verschiedenen politischen Ansätze der nordischen Länder und schlussfolgern, dass es in der Realität kein „nordisches Modell der Prostitutionspolitik“ gibt. Außerdem sind sie der Auffassung, dass die Beweise des politischen Wandels begrenzt und nicht überzeugend sind.
Das „nordische Modell“ der Prostitution wird oft als besonders fortschrittlich und frauenfreundlich angepriesen, angelehnt an einer feministischen Definition, nach der Prostitution als eine Form von Gewalt von Männern gegen Frauen gilt. Frankreich begibt sich in die gleiche Richtung, um diesem nordisch-inspirierten Ansatz zu folgen; politische Entscheidungsträger fordern Großbritannien dazu auf, dies ebenfalls zu tun. Aber die Idee eines solchen Modells ist irreführend, und gibt in keiner Weise die ganze Wahrheit über das preis, was in den Ländern los ist, wo es bereits angewandt wird.
Vor kurzer Zeit hielten wir einen Vortrag mit dem Titel „Das nordische Modell der Prostitutionspolitik existiert nicht“. Unser Ziel war es, eine Diskussion und Reflexion zu provozieren, und auch die Wahrheit über die Prostitutionspolitik in den nordischen Ländern zu erzählen.
Wir haben die nordische Prostitutionspolitik seit Mitte der neunziger Jahre erforscht, insbesondere war diese Forschung auf ein großes Vergleichsprojekt von nordischer Prostitutionspolitik und den Prostitutionsmärkten in den Jahren 2007-2008 gerichtet. In unserer Arbeit untersuchten wir, wie Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden an die Prostitution durch Strafjustiz und Sozialpolitik heran gehen, und überprüften deren Beweise, wie sich diese Politik auf die nordischen Prostitutionsmärkte und die Menschen selbst auswirken, die unter Einfluss dieser Politik arbeiten.
Wir haben festgestellt, dass die Unterschiede nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der nordischen Länder zu groß sind, als das man sagen könne, es gäbe so etwas wie ein gemeinsames „Nordisches“-Modell – und dass der Umstand für dessen Erfolg weit mehr negativ beladen ist, als die Unterstützung der Bevölkerung vermuten lässt. Nur Schweden, Norwegen und Island gehen einseitig vor, mittels der Kriminalisierung der Sexkäufer. Finnland hat ein Teilverbot, Dänemark hat sich für eine Entkriminalisierung entschieden. Das „nordische Modell“ ist also in der Tat nur auf drei Länder beschränkt.
Die Gesetze in diesen Ländern, welche den Kauf von Sex-verbieten, werden oft als Möglichkeiten dargestellt, die Schuld und Scham in der Prostitution vom Verkäufer auf den Käufer von Sex umzuverteilen. Dies war jedoch bei weitem nicht das einzige Argument für deren Einführung. Entgegen vieler gemeinsamer feministischen Gutachten, sind diese Gesetze in der Tat keine klare Botschaft, was und wer das Problem innerhalb der Prostitution ist. Im Gegenteil, sie sind oft in einer Art und Weise implementiert, welche negative Folgen für die in der Prostitution tätigen Menschen erzeugt.
In Wahrheit ist es so, dass während diese Gesetze eine schmeichelhafte internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Politik und die Praktiken, die damit verbunden sind, sehr komplex sind. Insbesondere werden sie manchmal in Verbindung mit anderen Gesetzen, Verordnungen und Verfahren angewendet, welche speziell darauf abzielen, die Schuld für die Prostitution den Menschen anzuhaften, die Sex gegen Geld anbieten, insbesondere, wenn sie Migranten sind. Aus diesen und anderen Gründen dürfen die Ansätze der nordischen Länder nur mit Vorsicht beurteilt werden – allen voran in dem Fall des populärsten Beispiels: Schweden.
Wo Schweden führt
Schweden zieht oft besondere Aufmerksamkeit auf sich in der Diskussion, wie man mit Prostitution umzugehen habe, spätestens seit dem Berichte von der schwedischen Regierung schlussfolgern, dass das Gesetz ein Erfolg sei.
Es wurde oft verkündet, dass sich die Zahl der Frauen in der sichtbaren Prostitution in Schweden verringert hat, seit dem das Sexkaufverbot (Sexköpslagen) 1999 eingeführt wurde; die schwedische Polizei bezeichnet das Gesetz als effizientes Werkzeug gegen den Menschhandel in Schweden. Das Gesetz findet eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit in Schweden, und dies wird als Folge des Gesetzes, mit seiner beabsichtigten normativen Wirkung auf die Einstellung gegenüber der Prostitution, interpretiert. Aber angesichts der vorliegenden Beweise, ist keiner dieser Punkte wirklich überzeugend.
Die Behauptung, dass die Zahl der Menschen, die in der Prostitution tätig sind, zurückgegangen sei, basiert zum einen weitgehend auf die Erfahrungen von Organisationen, die jedoch nur auf bestimmte Gruppen Prostituierter treffen. Das zeichnet aber kein Bild der allgemeinen Situation in der Prostitution ab: Sozialarbeiter, zum Beispiel, erfassen und erhalten ihren Eindruck basierend auf ihren Kontakt zu Frauen, die der Straßenprostitution in den größten Städten nachgehen. Es gibt keinen Anlass zu bezweifeln, dass andere Formen der Prostitution, welche im verborgen stattfinden, nicht nach wie vor existieren.
Der oft zitierte „Skarhed Bericht“ aus dem Jahr 2010 bestätigt dies -, aber immer noch kommt man zu dem Schluss, dass das Gesetz ein Erfolg sei, allein auf Basis der Anzahl von Frauen welche Kontakt mit Sozialarbeitern und der Polizei hatten. Männer in der Prostitution, Frauen in der Wohnungsprostitution, und diejenigen, die Sex außerhalb der größeren Städte auf der Straße anbieten, werden vom dem Anwendungsbereich des Berichts ausgeschlossen.
Dieses übertriebene Hauptaugenmerk auf die Straßenprostitution behindert viele Beurteilungen über die Durchsetzung des Gesetzes, weil sie einfach dazu neigen die Behauptungen der schwedischen Behörden zu wiederholen, dass das Sexkaufverbot die Größe des Prostitutionsmarktes beeinflusst habe. Sie ignorieren die Tatsache, dass seit 1999 oder so, Mobiltelefone und das Internet weitgehend die Rolle des face-to-face-Kontaktes in der Straßenprostitution übernommen haben – Was bedeutet, das ein Rückgang der Kontakte zu Frauen, welche den Verkauf von Sex in der traditionellen Art und Weise auf den Straßen von Schweden anbieten, nichts über die ganze Geschichte aussagt, wie die Größe und Formen der gesamten Prostitutionsmärkte des Landes.
Unterdessen wird über das schwedische Sexkaufverbot oft gesagt, es sei ein wirksames Instrument gegen Menschenhandel. Der Beweis für diese Behauptung ist schwach; schwedischen Behörden rechtfertigen diese Aussage mit Telefonaten, die von der Polizei abgehört wurden. Die offiziellen Daten, die vorhandensind, sind vage; einige Autoren weisen auch darauf hin, dass das Gesetz die Preise für Sex erhöht haben könnte, so dass Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung potenziell lukrativer ist als je zuvor.
Es gibt ebenso kaum Beweise für die Behauptung, dass das Gesetz eine Wirkung auf die beworbene Wahrnehmung von Prostitution und Menschen in der Prostitution hatte. Auch wenn Umfragen unter der Bevölkerung große Unterstützung für das Gesetz belegen, so zeigt das gleiche Material auch eine ziemlich starke Unterstützung für eine Kriminalisierung von Sexarbeitern. Dies widerspricht dem Gedanken, dass das Gesetz ein Ideal der Gleichberechtigung der Geschlechter fördert: Stattdessen scheint die Kriminalisierung von Sexkäufern die Menschen dahin gehend zu beeinflussen, das sie sich ebenso eine Kriminalisierung Sexarbeiter wünschen. Das widerspricht ja eher der Idee, dass das „nordische Modell“ erfolgreich das Stigma innerhalb der Prostitution weg von Sexarbeitern hin zu den Kunden verschiebt.
Der Nutzen in der Praxis
Letzten Endes haben Prostitutionsgesetze, die auf die Käufer abzielen, komplexe Auswirkungen auf die Menschen weit über diejenigen hinaus, für die sie gedacht waren. Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass die nordischen Länder Prostitution auch mit verschiedenen anderen Gesetzen und Verordnungen kontrollieren. Einige dieser Vorschriften gehen von der Sichtweise aus, dass die Frauen, die Sex verkaufen, bestraft und für die Prostitution verantwortlich gemacht werden sollten. Das zeigt auch, dass man vorsichtig sein muss mit der Auffassung, nordische Prostitutions- Kontrollen würden durch zunehmend feministische Ideale geleitet, oder dass sie unbedingt versuchen wollen, Frauen in der Prostitution zu schützen. Das aussagekräftigste Beispiel hierfür ist, wie die nordischen Länder Migranten behandeln, die Sex verkaufen.
In Schweden wird dies durch das Ausländergesetz verkörpert, welches ausländischen Frauen den Verkauf von Sex in Schweden verbietet und von der Polizei dazu verwendet wird, um nicht-schwedische Bürger oder Migranten, die als Sexarbeiter verdächtigt werden, festzunehmen. Dies zeigt die Grenzen der Rethorik der weiblichen Viktimisierung, in der Kunden als Täter dargestellt werden: wenn die Sexarbeiterin Ausländerin ist, dann ist sie schuldig und kann mit Abschiebung bestraft werden.
In Norwegen sehen wir ähnliche Diskrepanzen zwischen der erklärten Ideologie, den geschriebenen Gesetzen und der Praxis. Auch wenn es dort völlig legal ist Sex zu verkaufen, sind Frauen in der Prostitution häufiger Opfer von Nachbar-, Polizei-und Grenzkontrollen, welche sie stigmatisieren und verwundbarer machen. Die erhöhte Kontrolle, welche die norwegische Polizei über die Prostitutionsmärkte ausübt, um so Kunden zu identifizieren, umfasst auch ständige Überprüfungen der Ausweise und Dokumente der SexarbeiterInnen, um dadurch unter ihnen Illegale aufzuspüren. Razzien werden im Namen der Rettung durchgeführt, wo am Ende oft gefährdete Frauen, denen die Aufenthaltsgenehmigung fehlt, aus Norwegen ausgewiesen werden.
Zusammenfassend gesagt, wurden die Möglichkeiten der Herangehensweise der nordischen Länder an die Prostitution, im ganzen Land präsentiert und international verstanden als Ausdruck einer gemeinsamen Auffassung darüber, dass die Prostitution ein Problem der Gleichstellung der Geschlechter ist, und Beispiel dafür, wie die Rechte der Frauen in Anti-Prostitutionsgesetzen verankert werden können. Aber nachdem wir genauer hinschaut haben, wie die Gesetze geplant und umgesetzt wurden, erlauben wir uns anderer Meinung zu sein.
Charlotta Holmström wird gefördert von der Research Council of Conversation Norway und ist Professorin an der Universität von Malmö.
Mai-Len Skilbrei ist Professorin an der Universität von Oslo
Dieser Artikel wurde ursprünglich in The Conversation veröffentlicht. Lesen Sie den Originalartikel.
STOPPT DAS SEXVERBOT!!
STOPP DIE DISKRIMINIERUNG!!
WIR WOLLEN MEHR RECHTE FÜR SEXARBEITERINNEN!!
ich habe gerade die Petition „Amnesty International, International Secretariat, London: We demand a human rights based approach to sex work and call for the decriminalization of all consensual adult sex work“ auf Change.org unterschrieben, weil mir das Thema am Herzen liegt. Können Sie auch unterschreiben?
Hier ist der Link:
http://www.change.org/de/Petitionen/amnesty-international-international-secretariat-london-we-demand-a-human-rights-based-approach-to-sex-work-and-call-for-the-decriminalization-of-all-consensual-adult-sex-work?recruiter=90220580&utm_campaign=signature_receipt&utm_medium=email&utm_source=share_petition
Vielen Dank für Ihre Unterschrift! Wir sind gegen eine Diskriminierung der Sexarbeiterinnen!!