Prostituiertenschutzgesetz – Gesetz zum Schutz vor Prostitution und Migration

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Rede von Juanita Henning über das „Prostituiertenschutzgesetz“ auf den 4. Frankfurter Prostitutionstagen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,

seit etwa vier Jahren kritisieren wir die sich abzeichnende repressive Reglementierung von Prostitution.
Wir haben zu zahlreichen Versammlungen eingeladen, die „Frankfurter Prostitutionstage“ einberufen, Aufrufe mit Unterschriften online und in Printmedien platziert. Wir haben die Politiker auf Schritt und Tritt kommentiert, wenn sie sich geäußert haben. Wir haben Aktionen wie in Nürnberg gegen Ministerin Schwesig unterstützt und im Juni dieses Jahres zusammen mit anderen eine kleine, aber dennoch viel beachtete Demo gegen ein Gesetz auf die Beine gestellt, dessen Entwurf zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlicht war.

Mittlerweile haben wir hierzulande eine nicht ganz unbedeutende öffentliche Meinung, die sich mit zum Teil heftiger Kritik gegen das von der Bundesregierung vorgelegte „Prostituiertenschutzgesetz“ wendet. Auch wenn diese Kritik nicht die Positionen von Doña Carmen oder der Sexarbeiter/innen gänzlich widerspiegelt, so sind diese ablehnenden Stellungnahmen zu verschiedenen Punkten des „Prostituiertenschutzgesetzes“ doch keineswegs gering zu schätzen.

Der Deutsche Juristinnenbund, die Deutsche Aids-Hilfe, der Deutsche Frauenrat, die Diakonie Deutschland, die Deutsche STI Gesellschaft, wichtige großstädtische Gesundheitsämter, Fachberatungsstellen, die Piratenpartei, die Linkspartei und zuletzt vier grüne und für die Prostitution zuständige Fachministerien aus NRW, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Bremen, dazu die Kritik von Seiten der Datenschützer – all das ist nicht geringzuschätzen und nicht ohne gesellschaftliches Gewicht.

Man muss die eigene Rolle nicht überbetonen. Doch lässt sich sicherlich sagen: Ohne die Kritik aus den Reihen der Sexarbeiter/innen, ohne die Kritik von Organisationen wie Doña Carmen und anderen wäre diese breite Front, die der Regierung in Punkto Prostitutions-Regulierung die bedingungslose Gefolgschaft versagt, so nicht denkbar gewesen.

Demgegenüber macht sich auf Seiten der Regierungsparteien mittlerweile eine Bunkermentalität breit. Man schottet sich ab, gibt sich beratungsresistent und verbreitet Durchhalteparolen. So war erst vor wenigen Tagen in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen (ich zitiere):

„Voraussichtlich kann der Entwurf im ersten Halbjahr 2016 im Bundestag beraten werden“, sagte ein Sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In Kraft treten würde es sechs Monate nach Verkündung im Bundesgesetzblatt. In welcher Form das sein wird, ist angesichts der vielen Gegenstimmen längst nicht sicher.“

So die Einschätzung in der „Frankfurter Rundschau“.
Sicher ist allerdings eins: Sollte die Bundesregierung es wagen, das Gesetz, so wie es jetzt vorgelegt wurde, zu verabschieden, wäre das mit einem erheblichen Gesichts- und Glaubwürdigkeitsverlust für die Regierungsparteien verbunden. Das wäre der erste Sargnagel für das „Prostituiertenschutzgesetz“.

Wir sind jedoch gegenwärtig nicht in der Situation sagen zu können, das „Prostituiertenschutzgesetz“ sei angezählt und käme in Kürze zu Fall.

Kritik am Prostituiertenschutzgesetz

Wer sich einmal die Kritiken der genannten Organisationen und Verbände zum „Prostituiertenschutzgesetz“ genauer durchliest, der erkennt, dass sich diese Kritik auf bestimmte ausgewählte Punkte konzentriert und beschränkt:

  • Im Vordergrund stehen die Kritik an der Meldepflicht und die Kritik an der medizinischen Zwangsberatung.
  • dass Sexarbeiter/innen nur an zuvor benannten Orten ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen oder sich an jedem Ort vorab melden müssen,
  • dass sie sich zuvor auf ihre Einsichtsfähigkeit prüfen lassen und einen Hurenpass mit sich führen müssen – all das stößt auf Unverständnis und Kopfschütteln
  • Die Gefahr, dass das staatlich verordnete Zwangsouting zu einem Abtauchen in die Illegalität führt, wird als Bedrohung gesehen und mit Sorge betrachtet.

Im Ergebnis lässt sich sagen: Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz wird in der öffentlichen Debatte allenthalben mit Kontrolle und Repression in Verbindung gebracht. Das dem so ist, ist auch ein Ergebnis unserer Aufklärungsarbeit. Das ist gut so, aber das reicht nicht.

Wo stehen wir gegenwärtig, was ist zu tun?

Machen wir ein Gedankenexperiment. Nehmen wir für einen Augenblick an, die verantwortlichen Politiker/innen hätten für einen kurzen Augenblick Bodenhaftung. Sie raffen sich auf und würden der Kritik Gehör schenken. Sie würden der Kritik entgegenkommen, natürlich auch, um ihr Wind aus den Segeln zu nehmen.

Stellt euch also einen Augenblick lang einmal vor, das Undenkbare würde passieren und die Regierung lenkt ein: Sie verzichtet auf die geplante Anmeldepflicht und auf die Zwangsberatung mit Überprüfung der Einsichtsfähigkeit. Die Regierung besinnt sich auf ihren Ausgangs-punkt und will nur noch Bordelle so regulieren wie die vielzitierte Pommesbude.

Was würde passieren?

Viele der genannten Organisationen und Verbände, die bis dato Kritik geübt haben, würden augenblicklich beginnen, ein Loblied auf die Regierung anzustimmen. Sektkorken würden knallen. Im Gegenzug zu einem Verzicht der Regierung auf Anmeldepflicht und Zwangsberatung, würde man zu allen verbleibenden Punkten‚ Ja und Amen‘ sagen, würde sich mit der Regierung arrangieren und sich an die Ausgestaltung und Umsetzung der verbleibenden Maßnahmen machen.

Man würde das als „Erfolg“ werten. Doch bei Licht betrachtet könnte es sich schnell um das genaue Gegenteil handeln, nämlich einen einzigen großen Selbstbetrug. Ein Selbstbetrug auf Kosten der Sexarbeiter/innen.

Das ist keineswegs Spekulation. Man muss sich nur die gegenwärtig vorherrschende Kritik am „Prostituiertenschutzgesetz“ genauer anschauen, um zu erkennen, dass die Möglichkeit eines solchen Selbstbetrugs bereits heute in einer verkürzten und unzureichenden Kritik der neuen Prostitutionsgesetzgebung angelegt ist.

Die Mehrzahl der kritisch eingestellten Verbände und Organisationen vertritt nämlich die Auffassung

  • die Ziele der Gesetzgebung seien völlig ok, bedauerlicherweise seien nur die Mittel und Maßnahmen falsch gewählt;
  • oder: die Ziele der Gesetzgebung seien ja in Ordnung und eigentlich gar nicht verkehrt, nur die Mittel seien unverhältnis-mäßig repressiv und in dieser Form gar nicht nötig.

Ich sage: Das ist der Selbstbetrug. Nicht selten beruht er auf Tatsachenverdrehung, die an Manipulation grenzt. Dazu ein Beispiel:

Am 21. September 2015, also vor 2 Monaten, veröffentlichte das Bündnis aus Deutschem Frauenrat, Deutschem Juristinnenbund, Deutscher Aidshilfe, Diakonie, Mitternachtsmission und dem Frauentreff Olga eine Pressemitteilung zum „Prostituiertenschutzgesetz“. Darin wird das Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Juristinnenbunds, Frau Prof. Dr. Maria Wersig, mit folgenden Worten zitiert (ich zitiere):

„Der Entwurf hat gravierende Mängel und verletzt in seinem Kernelement – der Anmeldepflicht – wichtige Grundrechte…“

Es ist eine Verdrehung von Tatsachen, wenn die geplante Anmeldepflicht als das „Kernelement“ des Gesetzes bezeichnet wird. Denn gleich auf Seite 1 des im Juli von der Bundesregierung veröffentlichten Referentenentwurfs heißt es unmissverständlich (ich zitiere):

„Kernelement ist die Einführung einer Erlaubnispflicht für alle Prostitutionsgewerbe.“

Eine hier vorliegende offenkundige Verdrehung von Tatsachen macht nur Sinn, wenn man die Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe aus der Schusslinie der Kritik nehmen will, weil man vorab und grundsätzlich einer „Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe“ zustimmt. So beschränken in der Tat viele Kritiker den Widerstand gegen das „Prostituiertenschutzgesetz“ auf eine Kritik an der Anmeldepflicht und Registrierung.

Das ist deshalb schon problematisch, weil die „Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe“ das Herzstück der Repression gegenüber Sexarbeiter/innen ist. Sie betrifft zwar zunächst und ganz direkt die Betreiber/innen. Aber die Folgen der Erlaubnispflicht richten sich massiv gegen Sexarbeiter/innen. Ihre Auswirkungen auf die Sexarbeiter-/innen sind schlimmer und tiefgreifender als die der Meldepflicht.

Darüber möchte ich gerne sprechen. Und ich denke, wir sollten uns dieser Tatsache stellen anstatt ihr auszuweichen. Denn eine Kritik an der neuen Prostitutionsgesetzgebung, die an ihrem „Kernelement“ vorbeizielt, wäre ein Trauerspiel und ein Beispiel für Realitätsblindheit, die wir uns schlicht nicht leisten können.

prostituiertenschutzgesetz demo

Kritik an der Erlaubnispflicht

Wer sich den Gesetzentwurf der Regierung genau anschaut, wird leicht feststellen: Nur 8 Paragrafen befassen sich mit dem Anmeldeverfahren für Sexarbeiter/innen, dagegen befassen sich 12 Paragrafen mit der Erlaubnispflicht, 6 weitere mit „Pflichten der Betreiber“ im Rahmen der Erlaubnispflicht und hinzukommen noch 3 weitere Paragrafen zu Details der Überwachung erlaubnispflichtiger Prostitutionsgewerbe.

Die Erlaubnispflicht hat verschiedene Elemente: Dazu gehören die Zuverlässigkeitsprüfung mit der Möglichkeit der Versagung der Erlaubnis, die Vorlage eines Betriebskonzepts, das Einhalten von Mindestanforderungen sowie Pflichten für Betreiber, mögliche Auflagen für den laufenden Betrieb und spezielle Regularien der Überwachung.

Was sich anhört wie normales Gewerberecht, ist in Wirklichkeit das genaue Gegenteil.

Dass es beim „Prostituiertenschutzgesetz“ nicht mit rechten Dingen zugeht, möchte ich am Beispiel der Zuverlässigkeitsprüfung verdeutlichen.

Die Zuverlässigkeitsprüfung sei nötig, heißt es, damit Kriminelle keine Bordelle leiten. Das scheint auf den ersten Blick vernünftig. Schließlich sind ja auch wir dafür, dass das Gewerbe „entkriminalisiert“ wird. Aber wie ist es wirklich? Dazu an dieser Stelle 5 Punkte:

Punkt 1

Die große Mehrheit der Gewerbe in diesem Land kommt gänzlich ohne Zuverlässigkeitsprüfung aus. Diese ist ein staatlicher Eingriff in die Gewerbefreiheit und schränkt sie ein. Sie war und ist daher stets nur die „Ausnahme von der Regel“. Jetzt soll sie für das Prostitutionsgewerbe gelten, ohne dass nachvollziehbare Fakten zu ihrer Begründung geliefert wurden.
Um wessen Zuverlässigkeit geht es hier eigentlich? Ich komme zu Punkt 2.

Punkt 2

Normalerweise wird nur die Zuverlässigkeit des „Gewerbetreibenden“ geprüft. Nicht so bei Prostitution. Hier wird auch die des Stellvertreters geprüft. Das gibt es sonst nur noch im Gaststättenrecht.

Punkt 3

Neu im Prostituiertenschutzgesetz hingegen ist, dass das letzte Wort bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit die jeweilige „Landespolizei-behörde“ haben soll. Deren „Bedenken“ sind ausschlaggebend. Es handelt sich also um eine polizeiliche, nicht um eine gewerberechtliche Reglementierung der Prostitution.

Punkt 4

All das reicht offenbar nicht für die Überwachung aus. Denn zusätzlich zur Zuverlässigkeit des Betreibers und dessen Stellvertreters sollen Betreiber nun auch die Zuverlässigkeit sämtlicher Beschäftigter garantieren und kontrollieren – vom Türsteher bis zur Putzfrau. Sonst ist man die Erlaubnis wieder los. Das gibt es hierzulande sonst nur im Überwachungsgewerbe. Was dort vielleicht Sinn macht, erweist sich im Prostitutionsgewerbe aber als reine Schikane.

Punkt 5

Damit aber nicht genug. Im Prostitutionsgewerbe soll nun auch die Zuverlässigkeit derjenigen Personen geprüft werden, die (ich zitiere) „nicht in einem Beschäftigungsverhältnis“ zum Betreiber stehen. Gemeint sind damit die Sexarbeiter/innen, die normalerweise nur in einem Mietverhältnis zum Betreiber stehen.

Eine derartige Ausweitung der Zuverlässigkeitsvoraussetzungen gibt es sonst nirgends im Gewerberecht, nur in der Prostitution. Das ist Ausnahmerecht pur.

Die vom Staat auf die Betreiber/innen von Prostitutionsstätten übertragenen Befugnisse verlangt sogar ausdrücklich, dass Sexarbeiter/innen unter anderem wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit, jederzeit von diesen rausgeworfen werden müssen. Mangels Vertragsverhältnis bestünde kein Klagerecht der betroffenen Sexarbeiter/innen. Dies käme einem Berufsverbot gleich.

Dies alles geschieht im Rahmen der geplanten „Erlaubnispflicht“ für Prostitutionsgewerbe. Nun sage noch jemand, die „Erlaubnispflicht“ beträfe die Sexarbeiter/innen nicht!

 

Folge 1: Die gläserne Prostituierte

Die mit der Erlaubnispflicht einhergehenden Zuverlässigkeitskriterien ermöglichen und erzwingen von den Betreiber/innen die permanente und totale Kontrolle über die im Betrieb tätigen Sexarbeiter/innen. Knallhart greift die Erlaubnispflicht in deren Verhältnisse ein und führt zu einer Ausweitung patriachaler Kontrolle. Denn mit staatlicher Billigung wird die Kontrolle über Frauen – und die betrifft es mehrheitlich – an Private (und zwar mehrheitlich Männer) outgesourct. Das informatio-nelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Sexarbeiter/innen wird massiv verletzt.

Das „Prostituiertenschutzgesetz“ räumt Betreiber/innen von Prostitutionsgewerben umfangreiche Kontrollbefugnisse sowie Befugnisse zum Erfassen und Weiterleiten persönlicher Daten von Sexarbeiter/innen ein. Zu den Pflichten der Betreiber/innen gehören:

  • 5 Melde- und Anzeigepflichten
  • 6 Präventionspflichten
  • 9 Kontrollpflichten
  • 8 Auskunfts- und Hinweispflichten
  • sowie 3 Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten.

Aus den von den Betreiber/innen zu erhebenden und zu dokumentierten Daten, die den zuständigen Kontrollbehörden jederzeit zur Einsichtnahme vorzulegen sind, wird ersichtlich, wer, wo, wann, wie oft, wie lange und zu welchen Konditionen in der Prostitution tätig war. Die rund um die Uhr überwachte und gläserne Prostituierte wird Wirklichkeit.

Im Unterschied zur Zwangsregistrierung im Anmeldeverfahren, mit dem ja zunächst „nur“ die Tatsache der Prostitutionsausübung gegenüber der „zuständigen Behörde“ offengelegt und Orte benannt werden, an denen man der Sexarbeit nachgeht, verschafft die „Erlaubnispflicht“ den zuständigen Behörden ein komplettes Bewegungsprofil der Sexarbeiter/innen. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass ein „erlaubnispflichtiges Prostitutionsgewerbe“ mit der Pflicht zur Kontrolle und Dokumentation bereits ab zwei Sexarbeiter/innen vorliegt. Die persönlichen Daten müssen hier bei jedem Wechsel der Prostitutionsstätte stets erneut hinterlegt werden.

Im Grunde – und das ist meine These – könnte der Staat ohne großen Erkenntnisverlust auf eine vorab erfolgende behördliche Anmeldung und Registrierung von Sexarbeiter/innen verzichten. Man überlässt die Drecksarbeit einfach den Betreiber/innen! Der Informationsfluss in Richtung staatliche Überwachungsbehörden ist gewährleistet. Ein Betreiber, der das schleifen ließe, hätte im Handumdrehen keine Konzession mehr.

Ergänzt wird das Ganze durch die drei Überwachungs-Paragrafen § 29, § 30 und § 31 ProstSchG. Diese treiben die diskriminierende Sonderbehandlung von Prostitution auf die Spitze. Denn im Unterschied zu § 29 Gewerbeordnung („Auskunft und Nachschau“) werden hier nicht nur die „erlaubnispflichtigen Gewerbetreibenden“, sondern auch die einzelnen Sexarbeiter/innen überwacht, obwohl sie laut „Prostituiertenschutzgesetz“ ausdrücklich nicht als Gewerbetreibende gelten.

Während die Gewerbeordnung die Überwachung auf „Grundstücke und Geschäftsräume“ begrenzt, bezieht das „Prostituiertenschutzgesetz“ darüber hinaus unspezifische „Orte“ mit ein. Gemeint sind damit Straßenstrich und Privatwohnungen. Selbst Wohnungen, in denen die Inhaberinnen alleine der Prostitution nachgehen und die laut „Prostituiertenschutzgesetz“ gar nicht als „Prostitutionsgewerbe“ gelten, unterliegen nun auch der Überwachung. Dass bei dieser Gelegenheit die in § 29 GewO enthaltene Beschränkung der Überwachung auf die „übliche Geschäftszeit“ gleich mitwegfällt und es fortan um „jederzeitige Personenkontrollen“ geht, vermag nicht mehr zu überraschen.

 

Folge 2: Existenzvernichtung durch Einschränkung von Beschäftigungsmöglichkeiten

Die Folge der Erlaubnispflicht für Sexarbeiter/innen besteht aber nicht nur darin, sie fortan zu „gläsernen Prostituierten“ zu machen.

Wer den Gesetzentwurf der Bundesregierung durchforstet, findet darin mehr als 30 Pflichten für Betreiber/innen von Prostitutions-Etablissements. Würde ich die alle im Einzelnen aufzählen, wäre meine Redezeit rum.

Man sagt immer: Wer Rechte beansprucht, müsse auch Pflichten akzeptieren. Warum sollte das nicht auch für Bordellbetreiber gelten? Und vorschnell denkt man: Es sind ja Pflichten für Betreiber/innen, das betrifft die Sexarbeiter/innen also nicht.

Das ist ein großer Irrtum, kann ich dazu nur sagen.
Denn was bei diesen Pflichten ins Auge springt, ist ihre Detail-Versessenheit. Alles und nichts wird da geregelt. Das ist Kontrollwahn vom Feinsten. Jede der auferlegten Pflichten ist ein Kontrollanlass. Das sollten wir bedenken. Man hat dann die Kontrolle in Permanenz. Jedes Nicht-Einhalten einer Pflicht kann ein Anlass für Auflagen und im Zweifel ein Vorwand für die Schließung von Prostitutionsstätten sein.

Hier wird zielstrebig eine politische Zielvorgabe verfolgt:
Die Detailversessenheit und das Übermaß an Pflichten soll Betreiber-/innen von Prostitutionsgewerben vor Augen führen, dass sich ökonomische Investitionen in den Wirtschaftsbereich Prostitution nicht mehr lohnen.

Nach § 15 Prostituiertenschutzgesetz können bei „Belästigungen“ durch Prostitutionsgewerbe „Auflagen“ erlassen werden. Jeder von uns weiß, wie schnell man gerade bei Prostitution geneigt ist, von „Belästigung“ zu sprechen. Als Auflagen kämen dann in Betracht: Begrenzung der Zahl der Prostituierten in einer Prostitutionsstätte, Begrenzung der Zahl der Arbeitszimmer und Beschränkung der Betriebszeiten.

Mit solchen Möglichkeiten lässt sich jede halbwegs solide ökonomische Kalkulation im Nullkommanichts über den Haufen werfen. Man kann und wird Betreiber/innen dazu veranlassen, ihr Kapital aus dieser Branche abzuziehen. Denn das eigentliche Ziel dieses Gesetzes lautet: „Deutschland soll nicht länger das ‚Bordell Europas‘ sein.“ Ziel ist die maximale Eindämmung von Prostitution, nicht die Verbesserung von Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter/innen.

Das hat handfeste Konsequenzen für Sexarbeiter/innen: Ihnen droht eine wirtschaftliche Existenzvernichtung durch Zerschlagung ihrer Infrastruktur. Mit der absehbaren Schließung von Prostitutions-Etablissements verlieren Sexarbeiter/innen die Möglichkeit, sexuelle Dienstleistungen in einem etablierten und sicheren Ambiente anzubieten.

Die staatlich betriebene Politik der Arbeitsplatzvernichtung in der Sexarbeit hat zur Folge, dass einer zunächst gleich bleibenden Zahl von Sexarbeiter/innen eine geringere Zahl und Auswahl verbleibender Prostitutions-Etablissements gegenübersteht. Damit dürften Sexarbeiter/innen eine schlechtere Verhandlungsposition haben, sie müssten in ungünstigere Konditionen einwilligen. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen würden sich also verschlechtern.

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Folge 3: Abdrängen in die Vereinzelung

Die gezielte rechtliche Ungleichbehandlung zum Zwecke der Ein-dämmung von Prostitution geht aber noch weiter. Das bundesdeutsche Gewerberecht beruht auf einer allseits geteilten Gewerbe-Definition, wie sie 1976 vom Bundesverwaltungsgericht vorgegeben wurde. Diese lautet:
„Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung (ist) jede nicht sozial unwertige … auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe und bloße Verwaltung eigenen Vermögens.“

Für jeden erkennbar handelt es sich hierbei um eine qualitative Definition von Gewerbe. Sie kommt ohne die Bezugnahme auf eine feste / quantitative Zahl aus. Anders im „Prostituiertenschutzgesetz“. Als Prostitutionsgewerbe gilt nach § 2 Abs. 3 ProstSchG ein Handeln, das (ich zitiere)

„gewerbsmäßig Leistungen im Zusammenhang mit der Erbringung sexueller Dienstleistungen durch mindestens eine andere Person anbietet oder Räumlichkeiten hierfür bereitstellt.“

Das Prostituiertenschutzgesetz koppelt die Gewerbe-Eigenschaft bei Prostitution an die Anzahl. Mindestens zwei Personen müssen beteiligt sein, um von einem „Prostitutionsgewerbe“ sprechen zu können. Die einzelne Sexarbeiter/in ist damit vom Gewerbestatus und einer Erlaubnispflicht ausgenommen.

Sobald eine Sexarbeiterin aber mit anderen zusammenarbeitet, liegt nach der Logik des Prostituiertenschutzgesetzes“ ein erlaubnis-pflichtiges Gewerbe vor. Das gilt nicht nur für die Konstellation ‚Bordellbetreiber-Sexarbeiter/in‘, sondern auch für die Konstellationen:

(I) ‚Sexarbeiter/in – Sexarbeiter/in‘ sowie
(II) ‚Vermieter/in – Sexarbeiter/in‘

Das heißt: Sobald sich zwei Sexarbeiter/innen in einer Wohnung zum Zwecke der gemeinsamen Ausübung der Prostitution zusammentun, verliert eine von ihnen den Status der „Nicht-Gewerbetreibenden“ und wird zur „erlaubnispflichtigen Betreiberin“ eines Prostitutionsgewerbes mit allen 30 Verpflichtungen, die das Gesetz für diesen Fall vorsieht.

Eine einvernehmliche bzw. gleichberechtigte Kooperation zweier, dreier oder mehrerer Sexdienstleisterinnen zum wechselseitigen Vorteil ist im „Prostituiertenschutzgesetz“ gar nicht mehr vorgesehen. Die Realität einer solchen Konstellation wird schlicht geleugnet. Ab zwei Personen wird automatisch unterstellt, dass mindestens eine der beiden ihr Handeln darauf „ausrichtet“, einen einseitigen wirtschaftlichen Nutzen aus der Tätigkeit der anderen Sexarbeiter/in zu ziehen.

Dass hier ein krasser Fall von rechtlicher Ungleichbehandlung vorliegt, zeigt auch der Vergleich mit anderen Berufszweigen:
Die bloße Zusammenarbeit zweier Rechtsanwälte oder zweier Therapeuten konstituiert noch lange kein Gewerbe. Beide sind wie die Sexarbeiter/innen ebenfalls nicht als „Gewerbe“ eingestuft. Ihre Kooperation ändert daran nichts. Nur im Fall von Prostitution soll ab zwei Sexdienstleisterinnen ein Gewerbe vorliegen mit der absehbaren Folge, dass sie dann unter andern über das Baurecht weiterhin bequem aus zentralen Bereichen der Gesellschaft ausgegrenzt werden können.

Noch absurder und realitätsferner wird es, wenn zukünftig Wohnungs-vermieter, die an Sexarbeiter/innen vermieten, zu „erlaubnispflichtigen Betreibern“ eines Prostitutionsgewerbes erklärt werden, nur weil sie aus der Vermietung an Prostituierte einen „wirtschaftlichen Nutzen“ ziehen.

Das bundesdeutsche Gewerberecht knüpft den Status des Gewerbe-treibenden üblicherweise nicht an einen „wirtschaftlichen Nutzen“, sondern erst an eine gewisse Intensität desselben. Es muss eine auf „Gewinnerzielung“ gerichtete Tätigkeit sein. Vor diesem Hintergrund sind „Vermietungen und Verpachtungen“ als „Verwaltung des eigenen Vermögens“(Apartment) aus der gewerberechtlichen Überwachung ausgeschlossen.

Das „Prostituiertenschutzgesetz“ aber ermöglicht es, diese allgemein geltenden gewerberechtlichen Maßstäbe bei Prostitution außer Kraft zu setzen. Wer seine Tätigkeit darauf ausrichtet, „gezielt“ an Prostituierte zu vermieten, um daraus „wirtschaftlichen Nutzen“ zu erzielen, kann künftig als erlaubnispflichtiger Betreiber eines Prostitutionsgewerbes eingestuft werden.

Die Folgen dieser Konzeption von Gewerbe und Erlaubnispflicht sind für Sexarbeiter/innen katastrophal:

– Denn wenn Wohnungsvermieter Gefahr laufen, zu erlaubnis-pflichtigen Prostitutionsstätten-Betreibern erklärt zu werden und damit jederzeitige anlasslose Kontrollen in ihren Wohneinheiten hinnehmen müssten, wird sich das Angebot von Mietwohnungen für Sexarbeiter/innen drastisch verringern.

  • Die Erstreckung der „Erlaubnispflicht“ auch auf kleinste Wohnungs-bordelle wird zur Folge haben, dass viele dieser Etablissements das Handtuch werfen. Sich dem bürokratischen Reglement der Erlaubnispflicht zu unterziehen, steht vielfach in keinem vertretbaren Verhältnis zu den Abläufen und Einnahmen. Die Folge wird sein, dass das mittlere Segment zwischen Großbordellen und der isolierter Prostitutionsausübung vereinzelter Sexarbeiter-/innen durch die staatliche Prostitutionsgesetzgebung zerrieben wird. Das Sexgewerbe steuert auf eine Polarisierung zwischen wenigen monopolistisch betriebenen Großbordellen und vereinzelter Prostitutionsausübung hin.
  • Mindestens ebenso bedeutsam scheint mir die sich zwangsläufig abzeichnende Tendenz zur Vereinzelung und Isolation der Sexarbeiterinnen. Wenn ab 2 Personen ein erlaubnispflichtiges Prostitutionsgewerbe vorliegt, wird eine Ausweichreaktion in Richtung isoliert betriebener Prostitutionsausübung erfolgen. Viele Sexarbeiter/innen werden die Flucht in die Vereinzelung antreten. Die Erlaubnispflicht befördert den Trend zu vielen Ein-Frau-Prostitutionsetablissements.

Die Betroffenen haben damit höhere ökonomische Grundkosten zu schultern und durch ihre Tätigkeit zu erwirtschaften. Vereinzelung in der Sexarbeit bedeutet neben der Einschränkung von Angebote sexueller Dienstleistungen immer auch eine Verringerung der Sicherheit, die bislang aus dem räumlichen Zusammenwirken mit anderen Sexarbeiter/innen resultiert, sowie ein Abschneiden von Informationen. Unter dem Strich also eine massive Verschlechterung der Arbeits- und Lebenssituation der Betroffenen in jeder Hinsicht.

All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die spürbaren Folgen einer „Erlaubnispflicht“ für Prostitutionsgewerbe sein.

Wie kann man angesichts dessen das „Prostituiertenschutzgesetz“ kritisieren und dabei ausgerechnet das Kernelement dieses Gesetzes – die Erlaubnispflicht – von der Kritik ausnehmen? Ich denke, das ist unmöglich.

Anstatt einer entschiedenen und konsequenten Kritik an der „Erlaubnispflicht“ für Prostitutionsgewerbe, versucht die momentan vorherrschende Kritik am „Prostituiertenschutzgesetz“ einen Mittelweg: „Erlaubnispflicht ja, aber bitte nicht für kleine Wohnungsbordelle“ – lautet die Devise.

So behauptet etwa die Deutsche STI-Gesellschaft, gerade in kleineren und mittleren Betriebe seien die Sexarbeiter/innen selbst verwaltet, hätten eine höhere Sicherheit und größere Unabhängigkeit als in Groß-betrieben. Das „Prostituiertenschutzgesetz“ würde gar in unverhältnis-mäßiger Weise die Großbetriebe begünstigen. (Stellungnahme vom 11. Sept. 2015)

Und Hydra/Berlin führt ins Feld, dass kleine Betriebe größtenteils in Frauenhand seien, während Großbetriebe von Männern geführt werden und oft eine „familienunfreundliche Bereitschaft zur Nachtarbeit“ mit sich brächten. (Stellungnahme vom 10.9.2015)

Der Deutsche Juristinnenbund erinnert daran, dass in Neuseeland die verschärften Erlaubnispflichten erst ab 5 Personen gelten. (Stellungnahme vom 4.9.2015)

Solche Stellungnahmen sind ein offenes Einfallstor für die mediale Stimmungsmache gegen größere Prostitutions-Etablissements. Sie spalten zwischen den im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen.

Deutschland ist nicht Neuseeland. Hier soll das Prostitutionsgewerbe massiv eingeschränkt werden, und das geht eben nicht ohne die Einschränkung der Wohnungsprostitution. Das ist das erklärte Ziel all jener, die seit über seit 20 Jahren Befürworter einer Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten sind.

Unsere Perspektive darf es nicht sein, die Sexarbeiter/innen zu spalten und Zwietracht zu säen. Wir sollten den legitimen Anspruch aller Prostituierten auf rechtliche Gleichbehandlung mit anderen Erwerbstätigkeiten fordern. Die Rechte der Sexarbeiter/innen verteidigen aber heißt: Die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten muss weg – ohne Wenn und Aber. Das sollten wir ohne Abstriche klar und deutlich fordern.
Vielen Dank!

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