Mythos Prostitution – Sexarbeiter zahlen alle keine Steuern?

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Gibt es eine Sexsteuer?

Nein. Oft wird von Sexsteuer gesprochen. Das ist falsch. Es gibt schließlich keinen „Sexsteuerjahresausgleich“.
Korrekt formuliert handelt es sich um zwei Steuerabgaben:
  • Das Düsseldorfer Verfahren: eine pauschale Steuervorauszahlung auf Einkommensteuer/Umsatzsteuer/Gewerbesteuer. Zuständigkeit: Steuerfahndung/Finanzämter
  • Vergnügungssteuer ist eine kommunale Steuer-Zuständigkeit der Steuerämter.

 

Bonn - Ein Sexsteuer-Automat

Verkehr nur mit Ticket: Automat am Bonner Straßenstrich

 

Woher stammt das Düsseldorfer Verfahren (DV)?

Es gibt hierzu nur  einen internen Erlass der Oberfinanzdirektion Düsseldorf aus dem Jahre 1966. Dies wurde aufgrund der starken Stigmatisierung als anonymes Steuerverfahren eingeführt, damals mit 5 DM an jedem Arbeitstag.
Dafür  gibt es BIS HEUTE weder eine rechtliche, noch eine gesetzliche Grundlage.
Nach Art. 20 Grundgesetz ist aber die vollziehende Gewalt – hier: die Finanzbehörden –  „an Gesetz und Recht gebunden.“
Da die betroffenen Sexarbeiter keinen offiziellen Steuerbescheid über ihre Beteiligung am DV erhalten, können sie logischerweise gegen einen nicht vorhandenen Bescheid auch keinen Widerspruch einlegen.

Wer ist für das Düsseldorfer Verfahren zuständig?

Statt wie für andere Steuerzahler das “normale” Finanzamt, ist die Steuerfahndung zuständig und an dem Verfahren beteiligt.
Laut § 208 Abgabenverordnung (AO) hat die Steuerfahndung nur dann in Aktion zu treten, wenn der Verdacht einer Steuerdelikts besteht.
Beim Prostitutionsgewerbe wird von vornherein ein Generalverdacht erhoben.

Wie funktioniert das „Düsseldorfer Verfahren“?

1. Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes wendet sich an die örtlichen Betreiber/innen von Prostitutionsstätten, sucht sie auf oder lädt sie vor und legt ihnen die Teilnahme am alsbald einzuführenden „Düsseldorfer Verfahren“ nahe. Die Behörden “helfen” erfahrungsgemäß mit der Ankündigung von vermehrten Kontrollen und Razzien nach, sollten die Betreiberinnen zögerlich oder ablehnenden reagieren. Nach Außen wird es als “freiwillige Teilnahme” propagiert.
2. Betreiberinnen, die am pauschalierten Besteuerungsverfahren mitwirken wollen, müssen diese Mitwirkung gegenüber dem zuständigen FA schriftlich erklären.
3.Mitwirkung an dem Verfahren heißt:
Sie führen „Sammellisten“ der am Verfahren teilnehmenden Frauen.
Darin werden die einzelnen Anwesenheitstage der Frauen in den jeweiligen Betrieben sowie Angaben zur Person (Name, Künstlername, Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer bei Ausländerinnen etc.) erfasst, damit  anschließend angeblich ein zweifelsfreier Personenbezug  der einbehaltenen Beträge möglich ist.
Wer jetzt glaubt (und das tun viele), der Künstlername würde ausreichen, irrt. Denn wie soll anonym das gezahlte Geld zugeordnet werden können?! Ohne das es unter einer persönlichen Steuernummer verbucht wird, kann es auch nicht zugeordnet werden. Problematisch wenn es in einem anderen Bundeslandes bezahlt wurde und anschließend im Heimatfinanzamt verbucht werden muss.

Befreit die Beteiligung von eine jährliche Steuererklärung?

Nein,die Teilnahme am vereinfachten Vorauszahlungsverfahren befreit niemanden von der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen und nicht von der tatsächlich angefallen Steuern.
Es wird, seit der Einführung, den betroffenen Frauen fälschlicherweise der Eindruck vermittelt, dass mit der Beteiligung am DV ihre steuerlichen Pflichten erfüllt sind.
Im Nachhinein fordert nach Jahre  später die Steuerfahndung dann Steuerbescheide ein, die dann nicht vorhanden sind. Es wird die Steuerschuld der Sexarbeiter  geschätzt, und die so ermittelte Summe geht oft an jeder Realität vorbei.
Desweiteren müssen für zurück liegende Jahre Mietquittungen, Quittungen über die abgeführte DV, sowie sämtliche Geschäftsausgaben zusammen gesammelt werden. Was ein großes Problem darstellt. Da Betreiber nur über die Künstlername im Sammelformular haben oder gar nicht mehr aktiv sind oder sogar nicht gewillt sind nachträglich Quittungen auszustellen etc. Da die Betreiber ja, wie oben bereits erwähnt, nur Künstlernamen in den Sammelformularen stehen haben oder sogar auch gar nicht mehr aktiv sind oder der Betrieb den Besitzer gewechselt hat.

Kann man in allen Bundesländer an dem Verfahren teilnehmen?

Nein. Nur in 7 Bundesländern (NRW, BW, Rheinland-Pfalz, Berlin, Sachsen, Hessen, Saarland)
Bremen, Hamburg,Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben das übliche Besteuerungsverfahren.
In Bayern hat die Steuerfahndungsstelle München in einigen Fällen die in bordellartigen Betrieben tätigen Prostituierte als Arbeitnehmerinnen beurteilt/eingestuft und von den Betreibern Lohnsteuer nachgefordert. Nürnberg ging von der Selbständigkeit aus.Dadurch ergibt sich ein Flickenteppich, der Probleme bereitet, da es durch die Mobilität der Sexarbeit zu einer unterschiedlichen Versteuerung innerhalb eines Jahres kommt. Oft können bezahlte Steuern aus dem einem Bundesland, dem zuständigen Heimatfinanzamt im anderen Bundesland nicht zugeordnet werden. Zumal wenn sie unter einem Künstlernamen abgeführt worden sind, über das Sammelformular eines Betreibers, der die Steuerbeträge nur unter einer Sammelsteuernummer abgeführt hat.

Wann muss die Steuer bezahlt werden?

Sie müssen täglich pro Arbeitstag bezahlt werden, egal ob etwas verdient worden ist oder nicht an dem Tag. Kein anderer Berufszweig, kein anderes Gewerbe wird, wie in dem Prostitutionsgewerbe  dazu angehalten , täglich ihre pauschalierte Steuervorauszahlung  zu entrichten.

In welcher Höhe?

Die Höhe ist pro Bundesland und Kommune unterschiedlich. Sogar in manchen Städten, wie z.B. Stuttgart pro Betrieb. Es fängt bei 15,00 Euro an, wie in Frankfurt, in BW 25,00 Euro und in Berlin 30,00 Euro.
Eine weitere Ungleichbehandlung passiert innerhalb eines Betriebes, denn selbst wenn eine Frau 500 Euro verdient  und eine andere nur 50,00 Euro, müssen beide trotzdem die gleiche Steuervorauszahlung bezahlen.
Das ist doch genau das Gegenteil von Steuergerechtigkeit?  Denn wer im Vergleich zu anderen niedrigere Einnahmen erzielt, wird durch die gleiche hohe Steuervorauszahlung systematisch benachteiligt.

  • die in Teilzeit beschäftigten Frauen gegenüber Vollzeitprosttuierten
  • Frauen mit Standardservice gegenüber solcher mit ausgefallenen Dienstleistungen
  • Frauen, die innerhalb eines Jahres nur ganz sporadisch arbeiten und so unter dem jährlichen steuerlichen Grundbetrag fallen (bei Ledigen Grundfreibetrag 2014 beträgt 8.354 Euro) bleiben. Hier entstünde überhaupt keine Einkommenssteuerpflicht.
  • Frauen, deren Jahresumsätze unter der Grenze von 17.500 Euro bleiben, da in solchen Fällen keine Umsatzsteuer fällig wird. Auch hier liegt ein Widerspruch zum Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz vor.

 

 

Wie wird die Vorauszahlung auf die Einkommensteuer, Umsatzsteuer oder Gewerbesteuer angerechnet?

Dies ist Unklar. Zitat aus dem Bericht des Bundesrechnungshof vom 24.01.2014:
„In den meisten Ländern wurden die Vorauszahlungen ausschließlich auf die Einkommensteuer angerechnet. Lediglich in NRW undim Saarland ist eine Anrechnung  der Vorauszahlung sbeträge auch auf die Unsatzsteuer vorgesehen.“
Und noch ein Problem:
„Probleme entstanden, wenn Prostituierte die Anrechnung von Pauschalsteuern bei Finanzämtern in den Ländern verlangten, die das Düsseldorfer Verfahren nicht anwenden.“

Muss ich am DV teilnehmen?

Nein, seitens der Finanzbehörden ist die Teilnahme grundsätzlich freiwillig. Die Wahlmöglichkeit ist aber eingeschränkt, denn so müssen sich Sexarbeiter nach den Gegebenheiten des Betriebes richten. Wer dort arbeiten möchte, muss das vorgegebene Steuersystem akzeptieren.

Ist ein Betreiber berechtigt die Steuervorauszahlung von  mir einzubehalten?

Es ist rechtlich und gesetzlich nicht geklärt, dass ein Betreiber mit hoheitrechtlichen Aufgaben von der Steuerbehörden beauftragt wird. Wird aber trotzdem genau so praktiziert.

Welche Steuern muss ich zahlen?

  • Enkommensteuerpflicht

Prostituierte, die selbstständig sind, versteuern Einkünfte aus Gewerbebetrieben (§15 Einkommensteuergesetz). Selbständig tätige Prostituierte sind grundsätzlich jährlich zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet.

  • Umsatzsteuerpflicht

Selbständig tätige Prostiuierte sind Unternehmer im Sinne des §Umsatzsteuergesetz, wenn diese die Kleinunternehmergrenze im §19 Umsatzsteuergesetz von 17.500 Euro Umsatz jährlich überschreiten. Hier ist dann zusätzlich der allgemeine Umsatzsteuersatz von 19% des jährlichen Umsatzes fällig. In diesem Fall ist man für die Aufzeichnung seiner Einnahmen verpflichtet und müssen  jährlich eine Umsatzsteuererklärung abgeben. Außerdem muss man in den ersten beiden Jahren nach Unternehmensgründung monatliche , danach vierteljährlich Umsatzsteuer-Voranmeldung abgeben.

  • Gewerbesteuer

Ab einen Gewinn von 24.500 Euro im Jahr sind Prostiuierte Gewerbesteuerpflichtig.
BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 20.2.2013, GrS 1/12
http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=pm&Datum=2013&anz=25&pos=1&nr=27824&linked=bes

  • Vergnügungssteuer

Diese ist obendrein zu zahlen, wenn in auf kommunaler Ebene eine Vergnügungssteuer erhoben wird. Dies ist unterschiedlich in den Kommunen geregelt. In Köln zum Beispiel monatlich 150,00 Euro. Oder pro Arbeitstag 6,00 Euro. Unabhängig davon ob und wieviel verdient wird. Anderes Beispiel: In Bonn mit der umgebauten Parkuhr als Ticket vorab zu lösen auf dem Straßenstrich.

 

Schlussbemerkung:

Aktuell wird ebenfalls überlegt , das DV als bundeseinheitliche Abgeltungssteuer einzuführen. Was bedeutet: keine geschäftliche Ausgaben können abgesetzt werden. Ich hoffe, das dieses Sondersteuerverfahren nicht verabschiedet wird im Zusammenhang mit der Verschärfung des geplanten neuen Prostitutionsgesetzes.
Dies wäre eine erneute diskriminierende Ausgrenzung von Sexarbeit und eine verfassungsrechtliche Überprüfung wäre dringend erforderlich.

Frances, Sexarbeiterin
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