LISA: Gut gemeint ist das Gegenteil von Gut

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Kommentar:

Die LISA-Damen aus Wiesbaden wollen beim neuen Parteivorstand der LINKEN ihr Votum davon abhängig machen, wie er/sie sich zum Thema „Sexarbeit“ verhält. Sie favorisieren das skandinavische Modell. Ich habe sie über Facebook angeschrieben und darauf hingewiesen, dass es in Ländern in denen die Freier bestraft werden, zu mehr Übergriffen gegen Sexarbeiterinnen kommt. Hier die Antwort von LISA Wiesbaden und MEINE Entgegnung

LISA Wiesbaden:

Liebe Lady Hekate, wir sind im täglichen Austausch mit Betroffenen. Bei unserer Veranstaltung im März hatten wir zwei Betroffene auf dem Podium. Wir beschäftigen uns auch mit den Positionen des Berufsverbands, da dort aber auch Betreiberinnen Mitglied werden können und der Berufsverband darüber hinaus nur eine Minderheit der Prostituierten in Deutschland vertritt sind diese für uns nicht das Maß der Dinge. Wir sind international zum Thema vernetzt und kennen uns auch mit der Situation in Schweden bestens aus. Die Statistik zu zugenommenen gewaltsamen Übergriffen in Schweden ist schlicht falsch. Zum einen ging es dabei gar nicht um Schweden, sondern um Norwegen, und zum anderen stimmt es, dass in Norwegen eine Zunahme von Gewalt wie Spucken, Haare ziehen usw. zugenommen hat, schwerwiegendere Gewalttaten jedoch abgenommen haben. Genauer nachzulesen hier:  http://feministcurrent.com/7038/new-research-shows-violence-decreases-under-nordic-model-why-the-radio-silence/

Und jetzt ICH :

Seit wann ist“ Spucken, an den Haaren ziehen und so weiter „(was ist mit „usw.“ gemeint? Prügel? Erpressung? Beleidigung?) weniger entwürdigend als Vergewaltigen oder jemanden umbringen? Ich finde diese Relativierungen entlarvend. Sind die Verfasser dieser Studie etwa der Meinung, dass solche Übergriffe nicht so schlimm sind, weil es sich ja „nur“ um Huren handelt? JEDE Form von Gewalt ist verabscheuenswürdig! Und was Eure Einstellung gegenüber dem „Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen“ betrifft: Marginalisieren ist ein beliebter Trick in der etablierten Politik. Sachverhalte die unbequem sind, werden flugs zu „Einzelfällen“ erklärt und bagatellisiert – dann muss man sich nicht mehr darum kümmern. Wenn der ehrenwerte Herr Uhl von der CSU so argumentiert kann ich das nachvollziehen – er müsste ja sonst sein Weltbild ändern.

Aber WIR? Haben WIR das nötig- die gleichen Taktiken und Argumentationsstrukturen anzuwenden wie der ehrenwerte Herr Uhl von der CSU? Sexarbeit ist nicht gleich Sexarbeit. Nach 2002 hat sich das Metier sehr stark diversifiziert. Es gibt seitdem zum Beispiel auch Tantra-Studios und Sexualasstentinnen. Wollt ihr DIE dann AUCH brotlos machen?

Ich finde es auch vom emanzipatorischen Standpunkt her äußerst problematisch, wenn Sexarbeiterinnen auf die Opferrolle reduziert werden. Wenn ich jemanden viktimisiere, dann entmündige ich sie. Diese paternalistische Geisteshaltung lehne ich als LINKE prinzipiell ab. Ich streite nicht ab, dass es auch Zwangsprostitutution in Deutschland gibt. Aber dabei handelt es sich um Kriminalität. ICH spreche hier aber von NICHTKRIMINELLEN Verhaltensweisen
Wir haben bereits im Strafgesetzbuch die Tatbestände der Vergewaltigung, der Freiheitsberaubung, der Körperverletzung, der Erpressung, des schweren Betruges etc. Diese Gesetze müssen nur konsequent umgesetzt werden. Und bereits jetzt kann die Polizei in JEDER Wohnung und in JEDEM Betrieb, der offiziell als Prostitutionsstätte gemeldet ist, Razzien durchführen – und zwar jederzeit .

In München setzt die Polizei auf Sexarbeiterinnen Scheinfreier an und verknackt sie, wenn sie gegen die Sperrbezirksverordnung verstoßen, weil sie zum Beispiel einen Haus- oder Hotelbesuch in der Innenstadt machen.
Das ist ein schwerwiegender Eingriff in die Gewerbefreiheit und das verbriefte Recht auf freie Berufsausübung. Spitzelwesen und Denunziantentum haben Hochkonjunktur. ICH als LINKE finde solche Verhältnisse abscheulich. WENN euch wirklich an der Verbesserung von Zwangsprostuierten liegt, dann setzt euch für einen verbesserten Opferschutz ein – denn IMMER NOCH sind Frauen, die nachweislich Opfer von Schleppern geworden sind, von der Ausweisung bedroht, wenn sie bei einer Razzia aufgegriffen werden. Und Sexarbeiterinnen aus Südosteuropa die aussteigen wollen, müssen mit Repressalien seitens der Ausländerbehörde rechnen, „weil sie ja nicht mehr arbeiten.“

Ein weiteres Problem ist bei Sexarbeiterinnen aus Südosteuropa der Analphabetismus – hier stoßen die VertreterInnen der Beratungsstellen auf Probleme, weil die schönsten Informationsschriften für die Katz sind. Wir brauchen Alphabetierungsmaßnahmen, mehr Aufklärungsmöglichkeiten, bessere finanzielle Ausstattung der Beratungsstellen! HIER müssen wir ansetzen – und nicht bei der Debatte um die Abschaffung der Prostitution. Warum wollt ihr denn die Prostitution überhaupt abschaffen? Wegen der Würde der Frau?… das lasse ich nicht gelten, weil der Feminismus hier mit einem Begriff von „Würde“ operiert, der sich einzig und allein über das Sexualverhalten definiert. Das reduziert die Akteurinnen auf einen einzigen Aspekt ihrer Existenz und entwürdigt sie.

Ich finde es außerdem unfair gegenüber den frei und selbstbestimmt arbeitenden Sexarbeiterinnen (Die gibt es, auch wenn Herr Uhl von der CSU ihre Existenz hartnäckig leugnet), wenn frau ihnen durch die Kriminalisierung der Nachfrageseite die Existenzgrundlage entziehen will. Was sollen denn die auf diese Weise brotlos gewordenen Sexarbeiterinnen eurer Meinung nach machen? Hartz IV beantragen? Oder vielleicht DOCH lieber einen 5€-Job an der Kasse bei Lidl? (Gelegentliches Angegrabscht-Werden durch den Filialleiter im Gehalt inbegriffen…) In der Pflege arbeiten für einen Hungerlohn, einem kaputtem Rückgrat nach zwanzig Arbeitsjahren und der Aussicht auf Hartz IV? Nach der Devise: „lieber ein Leben in Würde , Armut und Anstand als ein Leben in Sünde“ ? (Im Übrigen gibt es viele Sexarbeiterinnen die mal in der Pflege gearbeitet und dann umgesattelt haben wegen der miesen Arbeitsbedingungen dort.)

Tut mir leid wenn ich hier sarkastisch werde, aber die Debatte um die Sexarbeit ist mir einfach zu undifferenziert, weil Sexarbeit bei den Abolitionisten immer gleichgesetzt wird mit Menschenhandel und das ist de facto falsch. Und außerdem ist sie heuchlerisch, dann hier wird insbesondere von der konservativen Politik – von CDU/CSU bis hin zur AfD – ein Stellvertreterkrieg geführt, der vom WIRKLICHEN Skandal in Deutschland ablenken soll. Und dieser Skandal heißt: Privatisierung im Gesundheitswesen, heißt: Lohndumping, heißt: Leiharbeit, Werkverträge und Hartz IV.

Ich brauche hier nicht die Gewerbezweige aufführen, in denen Ausbeutung und Schikane der Beschäftigten zum Arbeitsalltag gehört. Die kennt ihr genauso gut wie ich. (Ich habe zuletzt fast neun Jahre im Callcenter geknechtet und weiß wovon ich rede.) Und es gibt auch in der Gastronomie Arbeitsverhältnisse die jeder Beschreibung spotten. Aber niemand käme auf den Gedanken, die GÄSTE zu kriminalisieren. Wäre doch mal eine tolle Anregung: jeder der zu Mc Donalds geht, wird angezeigt, weil er einen Gewerbezweig unterstützt, der auf Ausbeutung, Umweltschädigung und Schikane der MitarbeiterInnen gegründet ist. Und jeder der bei IKEA kauft macht sich strafbar aus demselben Grunde… Jede Kundin die zu KIK geht, wird kriminalisiert. Jeder, der bei AMAZON oder Zalando bestellt desgleichen… Ihr seht, Genossinnen, die Sexarbeit ist nur die Spitze des Eisbergs. Sie bietet nur eine etwas größere Angriffsfläche, weil es sich um einen Bereich handelt, der seit eh und je tabuisiert wird (zumindest in einer Gesellschaft in der die Doppelmoral üblich ist und wo noch allenthalben die Folgen einer verqueren Sexualmoral greifbar sind).

Im „Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen“ können auch Betreiberinnen Mitglied werden, das ist richtig. Aber es ist ein gewisser Unterschied zwischen einer Domina mit eigenem Studio und einer Sexarbeiterin im Flatrate-Bordell, einer Sexarbeiterin die auf dem Straßenstrich arbeitet und einer Escort.

Übrigens: Es gibt schon seit etlichen Jahren in NRW den „Runden Tisch Prostitution“ der Landesregierung – dort findet ihr nicht nur Sachverständige aus Polizei und Gesundheitsamt und Streetworkerinnen aus den einschlägigen Beratungsstellen, sondern auch Sexworkerinnen. Und die Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet schon seit Jahren regemäßig Symposien zum Thema unter dem Titel „Wege aus der Grauzone“. Apropos „Grauzone“: gerade Flatrate-Bordelle und Straßenstrich stellen eine solche Grauzone da – und hier ist durch eine Entkriminalisierung zumindest die Chance zu mehr Transparenz gegeben um nämlich Schleppern und Menschenhändlern den Boden zu entziehen.

Die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen bei den Symposien der Friedrich-Ebert-Stiftung ist ähnlich wie am Runden Tisch. Die einzigen die ich dort regelmäßig vermisse, sind VertreterInnen aus den politischen Parteien (ich bin anscheinend die einzige Vertreterin der LINKEN die sich dort regelmäßig blicken lässt.). Bei der CDU kann ich das verstehen – aber WIR sollten uns ein größeres Maß an Diskussionsfreudigkeit und dem Heraustreten aus unserer angestammten Sphäre zumuten können, Andernfalls laufen wir Gefahr, dass wir uns den etablierten Parteien angleichen – schließlich ist auch die Frauenunion gegen Sexarbeit…. und die AfD hat keine anderen Sorgen als die „Bewahrung der christlichen Sexualmoral“…Mit SOLCHEN Leuten will ICH nicht in einen Topf geworfen werden.

Lady Hekate

 

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