Unser Leitbild
Voice4Sexworkers (V4S) gibt Menschen in der Sexarbeit eine Stimme. V4S ist ein Zusammenschluss, der gegen Missstände in der Sexarbeit vorgeht und ihnen etwas entgegensetzt. V4S fördert den Austausch von Informationen und schafft öffentliche Wahrnehmung.
Unser Netzwerk besteht aus Menschen und Organisationen, die in Deutschland leben oder arbeiten und eigene Erfahrungen aus der Sexarbeit mitbringen oder eng mit Menschen in der Sexarbeit zusammenarbeiten.
Wer sich unserem Netzwerk anschließt,
• erkennt sexuelle Dienstleistungen als Arbeit an
• unterstützt Selbstbestimmung und Selbstorganisation von Menschen in der Sexarbeit
• lehnt die Kriminalisierung von Sexarbeit ab
Unsere Forderungen:
I. Leben, Freiheit & Sicherheit
Sexarbeiter*Innen haben das Recht auf Selbstbestimmung in ihrer Sexualität. Daher darf kein Mensch dazu gezwungen werden, sexuelle Dienstleistungen gegen seinen Willen oder unter Bedingungen, mit denen er nicht einverstanden ist, zu erbringen.
Kondome sind lebensnotwendig, um die Gesundheit und die Sicherheit von SexarbeiterInnen zu schützen; daher sollte es verboten werden, dass die Kondome von SexarbeiterInnen bei Kontrollen als Beweisgrund zur Strafverfolgung dienen.
II. Gesundheit
Sexarbeiter*Innen haben unabhängig von Versicherungsstatus oder Sprachkenntnissen das Recht auf Gesundheit. Stigmatisierung von Sexarbeiter*Innen ist ein Hindernis beim Zugang zu gesundheitlicher Versorgung.
Nur freiwillige Gesundheitsberatungen und -tests dienen der Gesundheit der betroffenen Personen. Wie medizinische Untersuchungen sie sind vertraulich zu behandeln und müssen stets der Gesundheit der betroffenen Person dienen.
Mitarbeiter*Innen des Gesundheitswesens schützen Sexarbeiter*Innen vor Vorurteilen und Diskriminierung; sie bewahren Sexarbeiter*Innen vor erniedrigender und demütigender Behandlung und schützen ihre Rechte.
Sexarbeiter*Innen erhalten freien Zugang zu Kondomen und anderen Verhütungsmitteln und Safer-Sex-Methoden sowie zu medizinischer Versorgung. Es ist ein Mythos, dass SexarbeiterInnen ein Risiko für die Verbreitung von sexuell übertragbaren Krankheiten sind. Tatsächlich haben sie einen höheren Wissensstand über die eigene sexuelle Gesundheit und praktizieren häufiger Safer Sex als der Rest der Bevölkerung. Zudem fungieren sie für ihre KundInnen oftmals als BeraterInnen im Bereich sexuelle Gesundheit.
Wir fordern die Anerkennung unserer gesellschaftlichen Rolle als wertvolle Vermittler sexuellen Wohlbefindens und gesundheitsfördernder Maßnahmen.
Wir fordern, dass alle MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens uns mit Würde und Respekt behandeln und dass unsere Beschwerden über diskriminierende Behandlung ernst genommen werden.
Mit dem Ziel die Gesundheit und das Wohlempfinden aller SexarbeiterInnen zu fördern, setzen wir uns zudem ein für einen freien
– Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für alle SexarbeiterInnen mit Migrationshintergrund
– Zugang zu Spritzen-Austausch und Entzugsmaßnahmen für Drogenabhängige
– Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten für alle, die mit HIV leben, von denen sonst wohl unnötig viele sterben werden
– Zugang zu Behandlungsmaßnahmen zur Geschlechtsumwandlung für transsexuelle Personen.
III. Privatleben & Familie
SexarbeiterInnen haben das Recht auf ein Leben frei von willkürlicher Einmischung in ihr Privat- und Familienleben, in die Wohnung oder in die Korrespondenz. Sie haben das Recht, auf Schutz vor Anschlägen auf ihre Ehre und Reputation.
1. Niemandem sollte das Recht abgesprochen werden, eine Beziehung einzugehen und diese zu pflegen. Es ist diskriminierend, die PartnerInnen und die Kinder von SexarbeiterInnen als Zuhälter abzustempeln. Zudem impliziert ein derartiges Verhalten, dass es für SexarbeiterInnen nicht angemessen sei, ein Privatleben und eine Familie zu haben und es wird dadurch behauptet, dass es für andere Personen nicht angebracht sei, Beziehungen mit SexarbeiterInnen einzugehen und zu pflegen. Darüber hinaus berechtigt es vermeintlich dazu, SexarbeiterInnen Dienstleistungen zu verweigern .
2. Aktive oder frühere Beschäftigung im Bereich der Sexarbeit sollte kein Grund dafür sein, die Fähigkeit einer Person anzuzweifeln, Kinder zu bekommen und das Sorgerecht für diese Kinder zu tragen. Durch diese Art der Stigmatisierung und durch die Angst, seine Kinder zu verlieren, wird die Möglichkeit genommen, Hilfe und Unterstützung im Bezug auf Erziehungsfragen oder Probleme mit dem/r PartnerIn zu suchen, wenn man sie braucht.
IV. Bewegungsfreiheit
SexarbeiterInnen haben das Recht auf Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit.
1. Daher sollte die berufliche Tätigkeit als SexarbeiterIn kein Grund dafür sein, die Bewegungsfreiheit eines Individuums bei grenzüberschreitenden Reisen einzuschränken oder zu dokumentieren.
2. Die individuelle Bewegungsfreiheit innerhalb der nationalen und kommunalen Grenzen eines Landes sollten daher gewährleistet sein. Das Recht von SexarbeiterInnen auf Bewegungsfreiheit sollte in keiner Weise durch irgendwelche Vorschriften beeinträchtigt werden, egal von welcher politischen Ebene diese erlassen werden. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, die eigene Wohnung verlassen und dorthin zurückkehren zu können, die eigene Familie besuchen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu dürfen.
3. Wir fordern, Opfern von Arbeitsausbeutung und Sklaverei-Asyl zu gewähren und ihre Familien und Freunde zu unterstützen. Geschieht dies nicht, werden ihre Ausbeutung und die Verletzung ihrer grundlegensten Menschenrechte fortgesetzt.
V. Schutz vor Sklaverei & Zwangsarbeit
SexarbeiterInnen haben das Recht auf Schutz vor Sklaverei, Zwangsarbeit und Unterwerfung.
1. Daher sollte sichergestellt werden, dass SexarbeiterInnen alle ArbeitnehmerInnenrechte zugesprochen werden, sie über diese informiert sind und jederzeit die Möglichkeit haben, gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen vorzugehen.
2. Opfer von Menschenhandel, Zwangsarbeit und sklavereiähnlichen Praktiken sollten unter Berücksichtigung ihrer Menschenrechte angemessen unterstützt und geschützt werden. Sie sollten, unabhängig davon ob sie dazu bereit sind, mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Dadurch könnte sichergestellt werden, dass diese Menschen alle justitiarischen und gesetzlichen Möglichkeiten tatsächlich in Anspruch nehmen können. Das schließt auch die Beantragung von Kompensationszahlungen ein. Opfer von Menschenhandel dürfen nicht in eine soziale Umgebung oder ein Land zurückgebracht werden, in denen eine Re-Viktimisierung oder andere psychische und physische Schäden entstehen können.
VI. Gleicher Schutz durch das Gesetz & Schutz vor Diskriminierung
SexarbeiterInnen haben das Recht auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Das beinhaltet sowohl die Möglichkeit effektive Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen, als auch gesetzlich gemäß dem Grundgesetz vor Diskriminierung und vor jeglicher Form des Anstiftens von Diskriminierung geschützt zu sein.
1. Daher sollte es Justiz- und Kriminalbeamten verboten sein, ihre Autorität zu missbrauchen indem sie SexarbeiterInnen bei der Arbeit stören und belästigen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein/e SexarbeiterIn kein öffentliches Ärgernis erregt hat und es im betreffenden Land nicht illegal ist, sexuelle Dienstleistungen anzubieten.
2. Daher sollten Staaten in Straftaten ermitteln, sie verfolgen und gerichtlich verurteilen, unabhängig davon ob die geschädigte Person mit Sexarbeit in Verbindung steht oder MigrantInnenstatus hat. Außerdem muss sichergestellt werden, dass das Justizsystem in der Lage ist, auf Straftaten, die von SexarbeiterInnen angezeigt wurden, in angemessenem Umfang zu reagieren. Dazu gehören auch die Ausbildung und die Überwachung von Justizbeamten, Staatsanwälten und Richtern. Die Aussagen von SexarbeiterInnen in Strafprozessen dürfen nicht aufgrund der beruflichen Tätigkeit als SexarbeiterIn infrage gestellt werden.
3. Daher darf der rechtmäßige Besitz einer Person nicht willkürlich von Justizbeamten konfisziert oder zerstört werden.
SexarbeiterInnen haben das Recht auf Schutz vor Diskriminierung:
4. Daher darf niemand vor dem Familien- oder Zivilgericht diskreditiert werden, weil sie beruflich als SexarbeiterIn tätig ist oder früher einer solchen Beschäftigung nachgegangen ist.
5. Daher müssen SexarbeiterInnen und ihre Angehörigen gesetzlich vor Diskriminierung im Beschäftigungs- und Wohnungswesens, durch Justizbeamte, durch Erzieher und Lehrer und durch Mitarbeiter des Geundheits- und Sozialwesensgeschützt werden. Das gilt auch für die willkürliche und ungerechtfertigte Diskriminierung durch private Versicherungsgesellschaften.
6. Daher sollte professionelle, öffentliche Bildungsarbeit geleistet werden, die zum Ziel hat, die Diskriminierung von SexarbeiterInnen zu beseitigen.
VII. Registrierung, Zwangsberatung und obligatorische Tests
Die Registrierung von SexarbeiterInnen und die Durchführung von Zwangsberatungen und obligatorischer Gesundheitstests sind als Präventionsmaßnahmen wertlos, vor allem, wenn die restliche Bevölkerung sich diesen Beratungen und Tests nicht unterziehen muss. Dort, wo obligatorische Tests noch immer durchgeführt werden, zeichnet sich ab, dass KundInnen SexarbeiterInnen für besonders „gesund“ halten und daher auf den notwendigen Gebrauch von Kondomen verzichten, da sie sich selbst nicht als eine Bedrohung für die SexarbeiterInnen sehen.
Registrierungen, Zwangsberatungen und obligatorische Gesundheits- und HIV-Tests verletzen die Menschenrechte von SexarbeiterInnen und führen zu einer zunehmenden Stigmatisierung von SexarbeiterInnen als Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Außerdem tragen sie dazu bei, dass die stereotype Sichtweise, nach welcher Infektionen nur von SexarbeiterInnen auf KundInnen übertragen werden, verbreitet wird.
Maßnahmen wie Zwang und Repression führen aber nicht zum Ziel, sondern schrecken ab und treiben SexarbeiterInnen in die Illegalität, so dass sie für Aufklärung und Hilfsangebote schlechter erreichbar sind und zudem das Vertrauen in Fachberatungsstellen verlieren.
Wir verlangen, dass Registrierungen, Zwangsberatungen und obligatorische Tests abgeschafft werden.
VIII. Arbeit & faire und gute Arbeitsbedingungen
SexarbeiterInnen haben das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen und auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
1. Es ist bekannt, dass es sich negativ auf die Arbeitsbedingungen von SexarbeiterInnen auswirkt, wenn Sexarbeit nicht als reguläre Arbeit anerkannt wird. Außerdem wird ihnen dadurch der Schutz durch nationale und europäische Arbeitsrechtsgesetzgebungen verwehrt.
2. SexarbeiterInnen sollten die Form der sexuellen Dienstleistung und die Bedingungen, unter denen sie diese anbieten, selbst bestimmen können, ohne von Dritten beeinflusst oder gezwungen zu werden.
3. SexarbeiterInnen haben das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz, an dem ihre Gesundheit nicht gefährdet ist. Aktuelle Informationen über Gesundheit und Sicherheit sollten für SexarbeiterInnen in ausreichendem Maße verfügbar sein, unabhängig davon ob sie angestellt oder selbständig sind. Außerdem sollte es keine Einstellungsvoraussetzung für SexarbeiterInnen sein, regelmäßig Alkohol oder andere Drogen zu konsumieren.
4. Alle Menschen haben das Recht, an ihrem Arbeitsplatz respektvoll behandelt und nicht sexuell belästigt zu werden. Daher sollte der Respekt gegenüber SexarbeiterInnen an den Arbeitsplätzen der Sexindustrie, sowie auch an allen anderen Arbeitsplätzen, gefördert werden. Es muss darauf geachtet werden, dass sie nicht zu Opfern von Missbrauch und Belästigung werden.
5. SexarbeiterInnen sollten von den üblichen Arbeitgeberleistungen profitieren können. Dazu gehören Arbeitslosen- und Sozialversicherung, einschließlich Krankengeld, bezahlter Mutterschutz während und nach der Schwangerschaft, Urlaub und Recht auf Arbeitslosenförderung, wenn sie gekündigt werden oder sich dazu entschließen, in eine andere Branche zu wechseln.
6. SexarbeiterInnen sollten nicht dadurch diskriminiert werden, dass sie an ihrem Arbeitsplatz übermäßig hohe Preise für Miete oder grundlegende Güter des alltäglichen Lebens, bezahlen müssen, nur weil es sich um einen Ort handelt, an dem Sexarbeit angeboten wird.
7. Keine Person sollte von einem Arbeitgeber abgelehnt werden dürfen, weil sie früher beruflich als SexarbeiterIn tätig war.
IX. Teilnahme am öffentlichen Leben
SexarbeiterInnen haben das Recht, am kulturellen und öffentlichen Leben einer Gesellschaft teilzunehmen. Daher sollten SexarbeiterInnen, wie alle anderen Menschen auch, das Recht haben, an der Gestaltung von Gesetzen und politischen Prozessen teilzunehmen, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen betreffen.
X. Friedliche Versammlung & Vereinigung
SexarbeiterInnen haben das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigung. Daher sollten SexarbeiterInnen nicht daran gehindert werden, zusammenzuarbeiten, sich zu treffen und Gewerkschaften zu gründen, nur weil sie beruflich als SexarbeiterInnen tätig sind. Denn dadurch werden sie gleichzeitig daran gehindert ihre Meinung vertreten, an öffentlichen Tarifverhandlungen teilnehmen und für ihre Rechte einstehen zu können.
XI. Reisefreiheit
SexarbeiterInnen haben das Recht auf Reisefreiheit. Daher sollte die berufliche Tätigkeit als SexarbeiterIn kein Grund dafür sein, dieses Recht einzuschränken. Außerdem sollte jede Rückführung in das Herkunftsland unter voller Berücksichtigung der Sicherheit der betreffenden Person durchgeführt werden.
XII. Asyl und Nicht-Zurückweisung
SexarbeiterInnen haben das Recht, Asyl zu suchen und dürfen nicht in ihr Herkunftsland ausgewiesen werden, wenn ihnen dort unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Folter droht. Daher sollten die Regierungen sicherstellen, dass die berufliche Tätigkeit als SexarbeiterIn kein Hindernis dafür darstellt, vom Recht auf Asyl und Nicht-Zurückführung Gebrauch zu machen.