Wider die Profiteure?

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“Hundertprozentige Verbote halte ich für nicht realistisch, aber man sollte schon aufpassen, dass es zu keiner Ausnutzung kommen kann. In einigen Ländern ist Prostitution erlaubt, allerdings sind Zuhälterei und der Betrieb eines Bordells strafbar, was grundsätzlich in die richtige Richtung geht: die Idee ist, dass die einzelnen Frauen / Männer das direkt mit ihren Kunden ausmachen, ohne dass jemand anderes davon wirtschaftlich profitiert.”

Im Prinzip klingt das erst mal logisch: man könnte Ausbeutung auf diese Weise verhindern. Aber.

Was heisst “von der Sexarbeit anderer wirtschaftlich profitieren” denn genau?

Darf ich als Sexworker einen Webdesigner bezahlen, der meine Werbe-Homepage erstellt, oder muss ich, um heutzutage erfolgreich anschaffen gehen zu können, auch persönlich html und SEO können müssen? Darf dieser Webdesigner ein Portal programmieren, das speziell für Sexworker zugeschnitten ist, in dem sie sich per Formular gegen Geld eine Profilseite erstellen können? Darf der Programmierer eine wirklich gute Seite erstellen, die viele SW in Anspruch nehmen, und allein davon leben?

Wenn ich den Webdesigner nicht bezahlen darf, darf ich dann wenigstens einen Web-Provider bezahlen, mir Platz zur Verfügung zu stellen, damit ich meine eigene Homepage basteln kann? Darf ich eine Zeitung dafür bezahlen, Werbeanzeigen für mich zu drucken? Wenn nicht, wie um Himmels Willen komme ich zu Kunden?

Darf ich einen Steuerberater bezahlen, oder muss ich als Sexworker auch zwingend Steuerrecht verstehen müssen?

Darf ich ein Taxi buchen und bezahlen für meinen Weg zum Kunden, oder muss ich laufen? Und wenn ein Taxi ok ist, darf ich auch einen einzelnen Fahrer immer wieder buchen, weil ich ihm vertraue und er keine Vorurteile gegenüber Sexworkern hat, oder profitiert der dann von meinen Einnahmen? Darf ich den Fahrer für 50 Euro extra die Stunde vor dem Hotel warten lassen? Darf ich seine Nummer dabei haben und ihn anrufen, damit er mich direkt im Zimmer abholt, falls es ein Problem mit dem Kunden gibt und ich mich nicht mehr sicher fühle? Oder ist das Zuhälterei?

Darf ich eine Telefonistin beschäftigen, die meine Anrufe entgegennimmt, während ich beschäftigt bin? Darf die Telefonistin auch eine Sekretärin sein und meine Mails beantworten? Für mich die Werbung schalten? Was, wenn eine selbständige Sekretärin mehrere Sexworker vertritt, für alle zusammen eine Sammel-HP erstellen lässt, sich statt stundenweise lieber auf Provisionsbasis bei erfolgreichen Klientenvermittlungen bezahlen lässt und das ganze “Escort-Agentur” nennt? Darf die Escort-Agentur als Teil ihrer Serviceleistung anbieten, Sicherheitsanrufe entgegenzunehmen, wenn ich beim Kunden bin? Darf ich mit einer Kollegin gegenseitig die Bereitschaft zu
Sicherheitsanrufen tauschen, ohne dass Geld fließt, oder profitieren wir dann gegenseitig von der Sexarbeit der jeweils anderen?

Darf ich meine Familie finanziell versorgen, während mein Mann (oder meine Frau) sich zuhause um Haushalt und Kinder kümmert? Wenn er sich nur um den Haushalt kümmert, weil wir keine Kinder haben? Wenn er sich eigentlich um gar nichts kümmert, weil er eine faule Socke ist, das für mich aber ok ist, weil ich gut verdiene, den Zausel mit seinen Macken süß finde und halt eine Putzfrau bezahle? (Darf ich überhaupt eine Putzfrau bezahlen, oder profitiert die dann von meinen Einnahmen?) Was, wenn er sich um nichts kümmert und mich das nervt, ich aber immer wieder auf seine Versprechungen reinfalle, dass alles besser wird, wenn wir endlich das Geld für die Finca auf Mallorca zusammenhaben, und schließlich kümmmere er sich ja immerhin um die profitable und todsichere Anlage unserer Finanzen? Was, wenn die Anlage platzt und der Kerl mich verlässt? Was, wenn es nie eine Anlage gab und er mein Geld verjubelt hat und anschließend behauptet, man habe nie über eine Geldanlage gesprochen, und es gibt weder Zeugen, noch was schriftliches?

Darf ich meine volljährigen Kinder von meinen Einnahmen versorgen, bis sie das Studium abgeschlossen haben? Darf ich meine pflegebedürftigen Eltern umsonst bei mir wohnen lassen und verpflegen? Meine Schwester, für ein paar Wochen, weil sie Streit mit ihrem Kerl hat und eine Auszeit von zuhause braucht? Meine Schwester dauerhaft? Was ist mit einer Freundin?

Darf ich Räume anmieten, in denen ich meine Kunden empfangen kann, oder muss ich zwingend (was oft risikoreicher ist) zu ihnen nachhause oder ins Hotel? Darf das Hotel mir überhaupt ein Zimmer vermieten, wenn ich mich dort mit jemandem treffe, der mich für Sex bezahlt und damit die Zimmermiete von meinen Einnnahmen abgeht? Darf das Hotel dem Kunden ein Zimmer vermieten, wenn dort bezahlter Sex stattfindet und ich ihm einen günstigeren Preis anbiete, weil er das Zimmer bezahlt und nicht ich?

Wenn ich überhaupt dauerhaft einen Raum anmieten darf, in dem ich (auch oder ausschließlich) arbeite, darf der möbliert sein? Darf das sowas wie eine Ferien- oder Monteurswohnung sein, mit eingerichteter Küche und Wäscheservice? Was wenn der Vermieter im ganzen Haus solche Wohnungen nur an Sexworker vermietet, ist das Haus denn nicht per Definition ein Bordell? Wenn ja, gilt das auch, wenn zwanzig Sexworker im Haus arbeiten und drei Monteure dort wohnen? Darf der Vermieter in der Zeitung eine Anzeige schalten, in der steht, dass in einem Haus an einer bestimmten Adresse nur Sexworker eingemietet sind und man sie dort besuchen darf, und die Kosten diese Anzeigen genau wie den Wäscheservice auf die Mieter umlegen? Sofern beides günstiger kommt für die Mieter, als sich selbst einzeln zu kümmern? Sofern es teurer kommt, aber weniger Aufwand ist für die Mieter, die sich in der gesparten Zeit um weitere Kunden kümmern können?

Wie sieht es denn in anderen Dienstleistungsbranchen aus?

Friseure beispielsweise können angestellt arbeiten, einen eigenen Salon haben (in dem sie andere Friseure mitarbeiten lassen oder auch nicht), oder als Selbständige einen Stuhl nebst Equipment und Infrastruktur in einem Friseursalon anmieten und dort ihre Kunden empfangen. Dem selbständigen Friseur ist zuzutrauen, sich einen anderen Salon zu suchen, wenn ihm die Stuhlmiete im Vergleich zu seinem Umsatz zu teuer ist. Der Friseur darf auch entscheiden, dass ihm ein Stuhl in einem Salon mit gutem Ruf in guter Lage, mit tollem Ambiente, wo ständig so viel Laufkundschaft vorbeikommt, dass er auch über die eigenen Stammkunden hinaus durchgehend beschäftigt ist und ein gutes Auskommen hat, ziemlich viel Miete wert ist.

Macht eine vergleichsweise hohe Stuhlmiete den Saloninhaber zum Ausbeuter, wenn der Friseur sich nicht ausgebeutet fühlt und jederzeit auch woanders mieten könnte? Was, wenn die Einnahmen nach Abzug der Kosten für einen einheimischen Friseur nicht lohnend wären, ein hier sparsam für einige Monate lebender und arbeitender ausländischer Friseur sich aber am Ende der Zeit von dem verdienten Geld zuhause ein Haus kaufen kann? Was zeichnet einen Friseur gegenüber einem Sexarbeiter aus, dem man nach einer Gesetzgebung wider die Profiteure der Sexarbeit anderer die Entscheidungsfähigkeit für und wieder hohe Miete vs. zeitaufwendiger Selbstorganisation nicht zugesteht?

Dürfen Friseure Alleinverdiener sein und eine stinkfaule, nörgendle Ehefrau zuhause haben, die sie emotional unter Druck setzt, wenn sie nicht genug Geld nachhause bringen? Darf man einem Star-Friseur wegen seines Geldes Gefühle vorspielen und sich dann, wenn er verliebt ist, schamlos aushalten lassen? Darf ich meinen Partner manipulativ (nicht gewalttätig, versteht sich) dazu drängeln, eine Friseurlehre zu machen, auch wenn derjenige eigentlich dazu wenig Lust hat, weil ich glaube, dass er dann viel Geld nachhause bringt und wir so beide einen höheren Lebensstandard haben?

Darf ein Friseur seine Familie finanziell versorgen, während sein Mann (oder seine Frau) sich zuhause um Haushalt und Kinder kümmert? Wenn der Partner sich nur um den Haushalt kümmert, weil die beiden keine Kinder haben? Wenn er sich eigentlich um gar nichts kümmert, weil er eine faule Socke ist, das für den Friseur aber ok ist, weil er selbst gut verdient, den Zausel mit seinen Macken süß findet und halt eine Putzfrau bezahlt? (Darf der Friseur überhaupt eine Putzfrau bezahlen, oder profitiert die dann von seinen Einnahmen?) Was, wenn der Partner sich um nichts kümmert und den Friseur das nervt, er aber immer wieder auf dessen Versprechungen reinfällt, dass alles besser wird, wenn die zwei endlich das Geld für die Finca auf Mallorca zusammenhaben, und schließlich kümmmere sich der Partner ja immerhin um die profitable und todsichere Anlage der gemeinsamen Finanzen? Was wenn die Anlage platzt und der Kerl den Friseur verlässt? Was wenn es nie eine Anlage gab und der Typ das Geld des Friseurs verjubelt hat und anschließend behauptet, man habe nie über eine Geldanlage gesprochen, und es gibt weder Zeugen, noch was schriftliches?

Ist der absichtliche Aufbau einer Schuldenfalle für eine berufserfahrene Friseurin aus dem Ausland, die ich bei der (legalen) Migration kostenpflichtig unterstützt habe und die hier deutlich weniger verdient als ich zuvor angedeutet (und natürlich nie schriftlich garantiert) hatte, weniger schlimm, als die Schuldenfalle für die migrierte berufserfahrene Sexarbeiterin unter denselben Voraussetzungen? Wieso, oder wieso nicht?

Machen Sondergesetze für Sexarbeit überhaupt Sinn oder wäre es nicht irgendwie schick, alle Menschen möglichst gut vor krimineller Ausbeutung durch andere zu schützen, ohne ihnen gleichzeitig ihre eigene geistige Gesundheit, Souveränität und Handlungsmacht abzusprechen?

 

Undine

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