Das Schwedische Modell – eine Sexarbeiterin erzählt

 In International, Prostitution / Sexarbeit, Prostitution Allgemein, Schweden

Den ersten Beitrag auf diesem Blog möchte ich Petite Jasmine widmen.

Petite Jasmine

Inspiriert wurde ich durch das Video, welches ich am Ende dieses Beitrages verlinkt habe. Ich finde, da Jasmine nicht mehr für sich sprechen kann, sollten wir ihr die Möglichkeit geben, ihre bereits so wichtigen gesagten Worte weiter zu geben, so dass ein jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der SexarbeiterInnen in Schweden zu informieren. 

Deutsche Übersetzung

11. Juli 2013

Eva Marree Smith Kullander, bekannt für viele als „Petite Jasmine“, wurde von ihrem Ex-Partner brutal ermordet. Einige Jahre zuvor, nachdem jemand den Behörden erzählte, dass Jasmine eine Sexarbeiterin war, wurden ihr durch die schwedischen Sozialdienste ihre Kinder weg genommen. Jasmine engagierte sich in einem langen Kampf um ihr Sorgerecht und das Besuchsrecht für ihre Kinder. Es wurde offiziell festgestellt und bestätigt, dass Jasmine eine gute Mutter war. Aber nur, weil Jasmine eine Sexarbeiterin war, entschied der soziale Dienst, dass sie ungeeignet sei und sprachen dem Vater das Sorgerecht zu.

Der Vater war bereits vorbestraft auf Grund von Delikten mit körperliche Gewalt. Er hielt sich nicht an gemeinsame Absprachen bzgl des Sorgerechts. Er griff Sozialarbeiterinnen körperlich an. Er bedroht Jasmine mehrfach und stalkte sie. Trotzdem wurde ihm das Sorgerecht zugesprochen und Jasmine wurde noch nicht mal Schutz gegen seine Angriffe gewährt. Am 11. Juli 2013, bei einem gemeinsamen Besuch beim sozialen Dienst, packte er ein Messer, welches er dort im Büro fand und ermordete damit Jasmine.

Wie konnte es soweit kommen?

Schweden behauptet gegenüber der ganzen Welt, es würde Sexarbeiterinnen helfen und beschützen, aber 1999 kriminalisiert Schweden die Kunden von Prostituierten als Teil seiner Strategie mit dem Ziel „Prostitution abzuschaffen“. Seit dieses Gesetz verabschiedet wurde, wird Prostitution aus rechtlicher Sicht als „Gewalt gegen Frauen“ definiert. Sexarbeiterinnen sind ihrer Rechte beraubt, da sie als kaputt und minderwertig gelten. Seit dieses Gesetz verabschiedet wurde, sind Sexarbeiterinnen gefährdeter und schutzloser denn je. Ihre Kinder werden ihnen weg genommen. Es ist für sie nun auch sehr unwahrscheinlich, die Hilfe von Polizei oder Gerichte zu erhalten. Dies ist bekannt als das „Schwedische Modell“.

„Wie die Tragödie von Jasmine’s Geschichte zeigt, führt das schwedische Modell institutionelle und systematische Diskriminierung von Sexarbeiterinnen fort“. – Globales Netzwerk von Sex-Arbeit-Projekten (NSWP)


Interview mit Petite Jasmine im Juli 2012, genau ein Jahr bevor sie ermordet wurde:

Petite Jasmine: „Es begann damit, Sex zu verkaufen, für zwei Wochen und ich hatte in denen fünf Kunden getroffen. Ich dachte, es ist so aufregend und so erzählte ich meiner Cousine davon, was ich gerade machte. Sie rief daraufhin den sozialen Dienst und den Vater meiner Kinder an. Der Soziale Dienst war sehr „besorgt“. Sie sagen, dass ich nicht mehr auf mich selbst aufpassen kann, und wie ich mich dann um meine Kinder kümmern könnte? So läuft das in Schweden. Sie nahmen mir die Kinder weg. Ich dachte, das kann doch nicht richtig sein?! Ich begann online über Prostitution und Elternschaft Informationen zu suchen und meine Suche endete bei Petra Östergren´s Homepage, eine berühmte Kämpferin bezüglich Prostitution in Schweden und die schickte mich weiter zu Pye Jakobsson, die Gründerin der Sexworker-Organisation in Schweden und es war das erste Mal, das ich jemanden kennenlernte, der nicht versuchte, mich „zu retten“. Jemand, der keine Vorurteile hatte, der damit umgehen kann, dass ich Sex verkauft hatte. Sie verstand, dass ich mich nicht schlecht fühle oder verletzt bin und ich erkannte, dass ich für meine Rechte kämpfen kann, meine Kinder zurück bekommen und Stolz empfinden kann. Ja, ich war eine Prostituierte, aber ich habe ebenso einen Wert als Person. Es ist leicht die Tatsache zu vergessen, dass man ein Mensch ist, wenn man derart stigmatisiert wird… „

Was sind es für Probleme, die ihnen am meisten Schwierigkeiten bereiten? Jasmine: „Das größte Problem ist das Stigma. Das erzeugt Gewalt. Dann alle Feministinnen, die den Fokus von den Sex-Verkäufern zu den Sex-Käufern verschieben möchten. In gewisser Weise bin ich damit ja vielleicht einverstanden, das wir den Fokus ändern, aber was wir wirklich tun müssen, ist, den Menschen beizubringen, Frauen richtig zu behandeln, auch wenn sie Prostituierte oder Sexarbeiter sind. Sie haben das Recht, mit Respekt behandelt werden. Das „Nein“ einer Sexarbeitein hat den gleichen Wert wie bei jeder anderen Frau auch. Die Gewalt gegen Sexarbeiter stoppt nicht dadurch indem man Kunden den Kauf von Sex verbietet. Vielmehr geschieht es dadurch, was man den Menschen vermittelt, wie andere Menschen zu behandeln sind. „

Welche Auswirkungen auf sie hat der Menschenhandel Diskurs?

Jasmine: „In Schweden gilt die Denkweise, dass jeder ein Opfer des Menschenhandels ist. Es gibt einen sehr berühmter Film über dieses Mädchen, aus einem Osteuropäischen Land – und der Name des Films lautet „Lilja Forever“ und hat die Maßstäbe dafür gesetzt, wie Sexarbeit in Schweden wahrgenommen wird. Die Frau wird jeden Tag vergewaltigt, hat einen Zuhälter und ist in einer Wohnung eingesperrt. Dann begeht sie Selbstmord am Ende des Films. Und das ist es, wie Schweden Prostitution ansehen. Sie möchten natürlich alle Frauen davor retten. Es gibt natürlich niemanden, der freiwillig wählt, den ganzen Tag vergewaltigt zu werden . „

Wie gehen die Kunden mit der Kriminalisierung und Stigmatisierung um?

Jasmine: „Schwedische Kunden kümmern sich nicht wirklich um die Prostitutions-Gesetze. Sie denken, dass die Chancen erwischt zu werden, gering sind. Nebenbei: meist bekommen sie nur eine Verwarnung. „

Stellen die Medien Sie richtig dar? Wie verdeutlichen Sie Ihre Nachricht?

Jasmine: „Zunächst lasse ich mir von ihnen erzählen, welchen Standpunkt sie vertreten. Dann meide ich diejenigen, die eine Meinung haben, die nicht repräsentativ für meine eigene Meinung über Sexarbeit ist. Jedoch ich traf Sozialarbeiter, Rechtsanwälte – verhandelte mit ihnen vor Gericht als ich versuchte, meine Kinder zurück zu bekommen. Sie haben eine vorgefertigte Meinung was für ein Mensch ich bin, was für ein Leben ich lebe, wie ich fühle, wozu ich fähig bin… Es ist schwierig, eine Debatte mit ihnen zu führen, wo sie die Experten sind oder es zumindest glauben. „

Wie sehen Sie Ihre Rolle und welchen Beitrag als Aktivistin möchten Sie leisten?

Jasmine: „Oft wenn ich darüber spreche, das es wichtig ist, dass Menschen, die Sex verkaufen akzeptiert werden sollten und einen Platz in der Gesellschaft finden wie alle anderen, dann gibt es viele die sagen, dass es nie von der Gesellschaft akzeptiert werden wird. Aber es war es vor langer Zeit genau das gleiche, als die Leute das über unverheiratete Mütter, Homosexuelle, Transsexuelle etc behaupteten… so ziemlich alle, die außerhalb dieses Rahmens der Norm lagen. Ich denke, wenn wir alle hart an uns arbeiten, andere nicht zu diskriminieren, so wie wir es bei anderen Minderheiten auch, würden wir es bald schaffen, die Ansichten ziemlich schnell zu verändern. Das ist es, woran ich glaube. „


„Eva Maree Smith Kullander, wurde eingestuft ungeeignet als Mutter zu sein und der soziale Dienst und die Behörden bezeichneten ihre Sexwork-Aktivitäten als einen Akt der Gewalt. Eva Maree, 27, verkauft online Sex und kritisierte den schwedischen Feminismus und die schwedischen Prostitutionsgesetze auf ihrem Blog. Sie hätte das nicht tun sollen. Die Behörden sahen das als unangemessen an und gaben den Vater, einem verurteilten gewalttätigen Verbrecher, das alleinige Sorgerecht. Eva Maree war eine mutige, rücksichtsvolle und inspirierende Person. Sie traute sich, die Stimme derer zu sein, von denen viele es nicht wagen konnten zu sprechen. Wir sind viele und empfinden ein Gefühl von großen Trauer über diese unverständlichen Entscheidungen.“ – Rose Alliance 2013 | www.rosealliance.se


„Ich bin mir sicher, dass die zugefügte Stigmatisierung und die Vorurteile, verursacht durch das schwedische Modell, eine wichtige Rolle in dieser ganzen Geschichte spielen.“

„Er hat sie getötet, aber der verdammte Staat gab ihm die Möglichkeit zu glauben, das er es kann.“

Pye Jakobsson, Rose-Alliance


Englische Version aus dem Video

11 July 2013

Eva Marree Smith Kullander, known by many as Petite Jasmine, was brutally murdered by a former partner. Several years before, when someone alleged that Jasmine was a sex worker, her children were taken from her by the Swedish social services. Jasmine became engaged in a long struggle over custody and visitation of her children. It was officially determined that Jasmine was a good parent. But solely because Jasmine was a sex worker, social services decided that she was unfit and awarded custody to the father.

The father had a prior conviction for physical violence. He would not obey shared custody rules. He had physically attacked social worker. He had threatened and stalked Jasmine on several occasions. Despite this he retained custody and Jasmine was never even offered any protection. On 11 July 2013, during a joint visit to social services, he grabbed a knife that he found in the office and murdered Jasmine.

How could this happen?

Sweden pretends to the world to care for sex workers, but in 1999 Sweden criminalized the clients of prostitutes as part of a strategy to „abolish“ prostitution. Since that law passed, prostitution is now legally defined as violence against women. Sex workers are deprived of their rights as they are considered damaged and inferior. Since this law passed, sex workers have become more vulnerable. Their children are taken from them. They are far less likely to obtain help from police or the courts. This is also known as the „Swedish Model“.

„As the tragedy of Jasmine´s story illustrates, the Swedish Model perpetuates institutional and systematic discrimination against sex workers.“ – Global Network of Sex Work Projects (NSWP)

Interview with Jasmine

(July 2012, one year before she was murdered)

„It started with me selling sex for two weeks and I had seen five customers, I thought it was so exciting and told my cousin what I was up to so she called social services and the father to my kids. Social services were very „concerned“. They say that since I can´t take care of myself, how am I going to take care of my kids? That´s how it works in Sweden. So they took the kids. I thought this can´t be right. I started checking online about prostitution and about parenting and ended up at Petra Östergren´s homepage, a famous campaigner regarding prostitution in Sweden, and was sent further to Pye Jakobsson , who has founded the sex worker organization in Sweden and it was the first time I met someone that didn´t try to rescue me. Someone who wasn´t prejudiced, who could deal with it, that I had sold sex. She understood that I didn´t feel bad or hurt and I realized that I could fight for my rights, get my kids back and have some kind of pride. Yes I was a prostitute, but I still have a value as a person. It´s easy to lose track of the fact that you are a human being when stigmatized… „

What are the issues that mean the most to you?

„The biggest problem is the stigma. That´s what creates violence. Then you have all the feminists that want to move focus to from the sellers to the buyers. In a way I agree, we can change the focus but what we really need to do is teach people to treat women right even if they are prostitutes or sex workers. They have the right to get treated with respect. A sex worker´s „no“ is worth the same as any other woman´s. Stopping the violence against sexworkers is not achieved by stopping clients from buying sex. Rather it is by teaching people how to treat other human beings. „

How does the trafficking discourse affect you?

„In Sweden it´s thought that everyone is a trafficking victim. There is a very famous movie about this girl who is from an East European country – and it´s called „Lilja Forever“ and she has set the standard as to how sex work is perceived in Sweden. She gets raped every day, has a pimp and gets locked up in an apartment. Then commits suicide at the end of the movie. And that´s how Swedes view prostitution. Of course you want to save all women from that. That there might be a free choice to get raped all day long obviously can´t exist. „

How are clients dealing with the criminalization and stigmatization?

„Swedish clients don´t really care about the prostitution laws. They think that the chances of getting caught are slim. Besides, it´s just a ticket most of the time. „

Does the media portray you fairly? How do you clarify your message?

„First I let them tell me their angle. Then I avoid those who have a view that is not representative of my own view on sex work. However I´ve met social workers, lawyers – dealt with them in court as I try to get my kids back. They have a confirmed opinion of what kind of a person I am, what kind of life I live, how I feel, what I am capable of… It is difficult to get into a debate with them as they are the experts or so they think. „

How do you see your role and what contribution as an activist would you like to make?

„Often when I talk about what I think is important, that people who sell sex should be accepted and have a place in society like everybody else there are many that say that it would never be accepted by society. But it wasn´t long ago people said the same thing about unwed mothers, gay, transsexuals… pretty much everyone that was outside this frame of normality. I think if we all tried real hard not to discriminate like we have done with other minorities things will develop pretty fast like it has with other groups. That´s what I believe in. „


„Eva Maree Smith Kullander, was classified as an unfit mother with the social services and the authorities called her acts a violence offence. Eva-Maree, 27, sold sex online and was critical of the Swedish feminism and the Swedish sex trade laws on her blog. She should not have done that. The authorities deemed that inappropriate and gave the father, who was a violent criminal, sole custody.

Eva-Maree was a bold, considerate and inspiring person. She dared to be the voice for many that don´t dare to speak out. We are many and feel great sadness over that incomprehensible decision.“ – Rose Alliance 2013 | www.rosealliance.se

„I´m SURE the added stigma and prejudice fabricated by the Swedish Model played a major role in this whole story. … He killed her, but the bloody state gave him the power to think he could.“ – Pye Jakobsson, Rose Alliance

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