Frankreich: Arbeitsgesetz, Prekariat und Sexarbeit

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Folgenden Text erhielten wir von einer Sexarbeiterin aus Frankreich, mit der Bitte in zu teilen. Diesem Wunsch kommen wir natürlich gerne nach:

Ich möchte euch mit etwas bekannt machen, das in Frankreich im Augenblick sehr wichtig wird, und zu dem man in der deutschen Presse bezeichnenderweise so gut wie nichts, oder nur tendenziösen Unsinn, liest (SPON z.B. sprach neulich in verächtlichem Tonfall von landesweit ein paar tausend demonstrierenden Schülern, als an dem Tag im ganzen Land gut 1.2 Millionen (!) Leute allen Alters und aller Gesellschaftsschichten, mitsamt aller großen Gewerkschaften, in dutzenden Städten auf der Straße waren):

Seit über einem Monat gibt es in Frankreich eine massive Prostestbewegung mit, unter anderem, Demonstrationen und Streiks in allen Berufsbereichen sowie in Schulen und Universitäten, um ein Gesetzesvorhaben zu blockieren, das einen katastrophalen Abbau von Arbeitnehmer- und Sozialrechten bedeutet, es wäre de facto eine Rückkehr zu feudalkapitalistischen Strukturen des 19. Jahrhunderts. Dieses Gesetz, genannt „loi Travail“ oder „loi El Khomri“ (nach dem Namen der Ministerin, die dafür die Marionette macht), hat in unserer globalisierten Zeit auch international Bedeutung, denn was in einem Land an Rückschritt durchkommt wird erfahrungsgemäß sofort durch die gleichgesinnten Regierungen anderer Länder freudig übernommen.

Hier eine sehr gute Zusammenfassung auf Englisch dieser Bewegung: France: uprising against the labour law

Ihr fragt euch jetzt vielleicht, was das alles mit Sexarbeit zu tun hat?

Beides hat sehr viel miteinander zu tun:
Erstens betrifft Abbau von Arbeitnehmer- und Sozialrechten absolut jedes Mitglied der Gesellschaft, weil es um Umverteilung von Reichtum und Macht von unten nach oben geht, und das betrifft Huren genauso wie alle anderen: die Folgen für Huren wären z.B. sinkende Preise, weniger Kunden, und kaum noch Arbeitnehmerrechte falls wir aus der Sexarbeit aussteigen.

Zweitens nehmen hier in Frankreich auch viele Huren, obwohl sie keine Lohnarbeit ausüben, aktiv an den Streiks dieser Bewegung teil, indem sie solidarisch und öffentlich (per geänderter Anzeige und Ablehnung von Kunden z.B.) mitstreiken (Kolleginnen sind sogar dabei, zu diesem Zweck eine Streikkasse aufzubauen).

Drittens, und das ist die wichtigste Verbindung dabei, wird dieses Gesetz, falls es angewandt wird, das französische Prekariat extrem vergrößern und damit auch so manche Leute in die Sexarbeit aus Not treiben: dieses Gesetz verwandelt heutige Lohnarbeitnehmer/innen in die Armutshuren von morgen (und das bei gleichzeitiger Einführung eines Gesetzes, das Sexarbeit immer weniger möglich machen soll). Wobei die Hauptforderung der französischen Huren, nämlich die Normalisierung der Sexarbeit als, rechtlich gesehen, Arbeit wie jede andere, dem exakt entgegenläuft: wir wollen mehr Rechte, nicht weniger, und zwar für alle, nicht nur für uns.

Es gilt also, Solidarität und Konvergenz auszubauen zwischen dieser Streikbewegung und der Hurenbewegung. Und genau das macht der STRASS aktiv: Wir sind z.B. schon in mehrere bestreikte Universitäten eingeladen worden, um genau dazu zu referieren und auszutauschen, und wir wurden sehr interessiert und aufgeschlossen empfangen.

Hinzu kommt, daß der Bevölkerung diese Bewegung noch nicht intensiv genug ist (zum Generalstreik ist es bisher leider noch nicht gekommen, obwohl das sehr nötig wäre), und daß aus diesem Grund seit ca. 10 Tagen in Frankreich eine öffentliche selbstorganisierte Grassrootsbewegung entstanden ist, die sich „Nuit Debout“ (ca. „Durchwachte Nacht“, es schwingt aber auch „aufstehen“ im politischen Sinn mit) nennt, und daß auf öffentlichen Plätzen vieler Städte, z.B. auf der place de la République in Paris, basisdemokratische selbstorgansierte Camps für jedermann/frau bestehen, in denen über alle Themen, bei den etwas politisch im argen liegt, diskutiert und beschlossen werden kann. Der STRASS beteiligt sich ausführlich daran, insbesondere in Paris, wo wir z.B. an feministischen Workshops teilgenommen haben und vor zwei Tagen sogar einen gut besuchten Infotisch zur Sexarbeit hatten. Wir informieren auf diese Weise viele Leute über unsere Anliegen und Kämpfe, zeigen unsere Solidarität, und gewinnen dadurch auch neue Erkenntnisse, Kontakte und Mitstreiter/innen, und das ist sehr gut so.

Es könnte sein, und es ist zu hoffen, daß aus all diesem eine neue politische Gegenbewegung aus der Bevölkerung gegen den globalen rollback in düsterste vergangene Zeiten entsteht. Wir arbeiten jedenfalls mit daran.

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